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Sitzungsberichte

der

philosophisch- philologischen und historischen Classe

der

k. b. Akademie der Wissenschaften

zu ]\d[üncheii. Jahrgang 1878.

JEh*8ter Band. ^ f^'

München.

Akademische Buchdiuckerei von F. Straub.

1878.

In Coniinissioii bei G. Franz.

As 12.2.

Uebersicht des Inhalts.

Die mit * bezeichneten Vorträge sind ohne Auszug.

Oeff entliche Sitzung zur Feier des 119. Stiftungstages der Akademie am 28. März 1878.

Seite

V. Döllinger: Gedächtnissrede auf Alexandre Herculano de Car-

valho 158

V. Prantl: Nekrologe 18G

V. Giesebrecht: Nekrologe 194

Philosophisch-philologische Classe.

Sitzung vom 5. Januar.

Laubmann: Mittheilungen aus Würzburger Handschriften . . 1

*Lauth: üeber Busiris und Osyraandyas 20

Maurer: Die Freigelassenen nach altnorwegischem Rechte . . 21

Sitzung vom 9. Februar. ünger: Zum Kalender des Thukydides 89

Sitzung vom 2. März. Thomas: Bericht über die ältesten Besitzungen der Venezianer

auf Cypern 143

Trumpp: Beiträge zur Erklärung des Mufassal 197

Sitzung vom 4. Mai.

Unger: Diodor's Quellen in der Diadochengeschichte .... 368 Brunn: Die Sculpturen von Olympia. Zweite Reihe .... 442

IV

Historische Classe. Sitzung vom 5. Januar.

Seite

*v. Döllinger: Ueber die Gefangennehmung und den Tod

Bonifacius' VIII 101

Sitzung vom 9. Februar.

*v. Löher: Ueber die Kämpfe Kaiser Friedrich II. auf Cjpern . 101 Würdinger: Ueber die Töpfer'schen Materialien für die bayerische

Kriegsgeschichte des 18. Jahrhunderts 107

Sitzung vom 2. März.

V. Hefner-Alteneck: Ueber den Maler, Kupferstecher und

Formschneider Jost Amman 133

*v. D ruf fei: Herzog Herkules von Ferrara und s^ine Beziehungen

zu dem Kurfürsten Moriz v. Sachsen und zu den Jesuiten 317

Sitzung vom 4. Mai. *Heigel: Die Handhabung der Büchercensur in Oberbayern . . 471

Einsendungen von Druckschriften 102, 472

Sitzungsberichte

der

königl. bayer. Akademie der Wissenschaften.

Philosophisch-philologische Classe.

Sitzung vom 5. Januar 1878.

Herr Bursian legte vor:

„Mittheilungen aus Würzburger Hand- schriften" von Herrn Laubmann.

I.

Ein acrostichisches Gedicht von Winfried- Bon ifatius.

Dass Winfried-Bonifatius neben seiner bischöflichen und apostolischen Wirksamkeit auch für die literarische Cultur Deutschlands ungemein thätig war, bezeugt uns der Inhalt zahlreicher Briefe von ihm und an ihn,^) in denen uns sein lebendiges Interesse für Poesie und Metrik entgegen tritt, bezeugen auch die noch erhaltenen grammatischen und me- trischen Compendien, über welche C. Bursian, Sitzungsber. 1873, 457—460 gehandelt hat.

A. Ebert hat in seiner Gesch. d. Lit. des MA. I, 611 bis 616 in zusammenfassender Kürze die Verdienste des

1) Die neueste und beste Ausgabe des gesammten Briefwechsels gab Jaffe in seinen Monumenta Moguntina (Bibliotheca rer. germ. Tom. III), Berol. 1866.

[1878 I. Philos.-philol. Gl. 1.] 1

2 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 5. Januar 1878.

Bonifatius um die weltliche Wissenschaft erörtert, während C. Will, Regesten zur Gesch. der Mainzer Erzbischöfe I, (1877) Einl. pag. II— XIII, die Literatur über Leben und Schriften des Apostels der Deutschen sorgfältig zusammen- gestellt hat.

Die meisten dieser Schriften sind erst seit wenigen Jahrzehnten bekannt geworden. Das Compendium der Grammatik hatAng. Mai(Class. auct. Tom. VII, 475 548) im Jahr 1835 aus einem codex Vaticanus (Palat. n. 1746), früher dem Kloster Lorsch gehörig , herausgegeben ; den Abriss der Metrik (ohne den Namen des Verfassers schon früher publicirt und bei Gaisford, Scriptores latini rei metricae, p. 577 sqq. wiederholt) Aug. Wilmanns aus einer gleichfalls Lorscher Handschrift (cod. Palatinus n. 1753) im Rhein. Museum N. F. XXIII (1868), 403 sq. mitgetheilt.

Die Aenigmata, über die Th. Wright 1842 Nach- richt gab, wurden von Giles zuerst unvollständig 1844 in: Bonifacii opera II, p. 109 115, darnach vollständig, aber ohne alles Verständniss, in den Anecdota Bedae, Lanfranci et aliorum, London 1851, p. 18 24, 38 45, später aber, unabhängig davon als ,,grösstentheils unedirtes Gedicht des hl. Bonifacius" von C. P. Bock im Freiburger Diöcesan-Archiv III (1868), 221 272, mit Erläuterungen herausgegeben.

Wir dürfen uns darum nicht wundern, im Folgenden ein neues Gedicht des Bonifatius zu erhalten aus einer Per- gamenthand Schrift der Würzburger Universitätsbibliothek,^) s^c. X, signirt Mpth. f. 29.

Ich gebe zuerst (S. 4) die Handschrift so wieder, dass die ganze Künstlichkeit der mühevollen Arbeit des Bonifaz

2) J. A. Oegg, Korographie von Würzburg I (1808), pag. 551, hatte das Gedicht nicht übersehen, es aber, den Namen Vynfr et h nicht erkennend, als wahrscheinlich von Lupus, einem Schüler des Rabanus Maurus, her- rührend bezeichnet. Ich gebe kurz den übrigen Inhalt der Handschrift an.

Dieselbe besteht aus 2 verschiedenen Werken des Cassiodor und enthält :

Lauhmann: Mittheilungen aus Würzhurger Handschriften. 3

deutlich sichtbar wird, deren 38 Verse in distichischer resp. hexametrischer Form am Schluss (S. 18 und 19) wiederholt werden, und lasse Seite 6 die in der Handschrift auf der Rückseite befindliche metrische Exposition sogleich in über- sichtlicher Form und mit Ergänzung einer Lücke folgen.

I. ssec. X fol. 2 37^. Cassiodori Senatoris Institutionum diuinarum lec- ^ tionum liber primus. In der subscriptio heisst es: Cas-

siodorii Senatoris Institucionum diuinarum litterarum ex- plicit liber primus. deo gracias. amen.

f. S?**— 39*. Incipit eiusdem liber secundus. deo gracias.

I. De gramatica. Grammatica a litteris nomen accepit bis zum Schlüsse des Capitels tractata dilatatur, und zwar, abgesehen von einigen Schreibfehlern, ganz in der Redaction des codex Bambergensis, von der die Mittheilung N. II im nächsten Heft handeln wird; nur fehlt im cod. Wirceb. 29 die Praefatio und hört das zweite Buch überhaupt mit dem Capitel de grammatica auf.

f. 39. Incipit de arhore in paradiso posita. In ueteri testamento id est genesis legimus dominum dixisse ad adam ex omni

ligno quod est in medio paradiso editis Multa super-

sunt de istis qusB dicendi sunt. Sed hora praeterit singula dicere. Ne longitudo sermonis fastidium faciat auditoribus, debitorem medico, dilacionem peto, sed uereor ne debitor occurrat et auditor absenciam procuret.

f. 41. De quo supra. Incipit unde supra;

Deuitum (d. i. Debitum) curro soluere sermone. Sed pri-

stinos meos non inuenio creditores sie nee quod

adam peccauit deo inputamus.

f. 44. „Uersibus en iuuenis" etc., also das Gedicht, über das diese Abhandlung geht.

f. 44*'. Metrische Erläuterung dazu. II. f. 1. 74 (Vorsetzblätter s. X). Differentiarum ysodori iunioris spa- nensis episcopi; Inhaltsangabe des 2. Buches, Text von cap. XXXII-XXXVI (Migne LXXXIII, 90-93 = cap. 34-38), nebst einer Notiz über die Chiffern im Commentar.

f. 2—73 ssec. XII: Magni aurelii cassiodori senatoris iam domino praestante conuersi expositio centum quinquaginta psal- morum: bricht f. 73 mit Psalm XXIII, 8 ab.

1*

Sitzung der philos.-philol. Clasße vom 5. Januar 1878,

üersibus en iuuenis dTxrant et carmina cantu Ymnos namque del ymnica dicta uiri Nisibus eximiis r e ixouantis carmina lector Flumina namque p 1 u s jTrangere iudicii

Remina temporitous t o rquebit torribus & sub 5

Excelsi f a 1 11 omnia saocla diu

Tuta tenent iuste pariter tum tania scanctis Hie dabitur reg± a u r e a Ix a c q u e p i i

Per c a e 1 i campos st ipabunt ;^ace tribunal

Regnantes laudant limpida regna simul 10

Impia perpetuae ut damnentur gaud±a uitae Sordida ±n terris spernere gesta uiri Cautü est "U.t numquam defleat supplicia o a s s u Omnes

entiles Regmlna ut perdant parit Unus nemp e den M ±rifico absoluens Bildes in arte XJictor

mpia orig o magog

r sub tartara t a^ u s i 15 saecula cuncta siJLi S itiraa tradidit axixni ua omnia saneta graca.u

nam Da,psilis in pastis be DeuLotis concede tib 0 m n ±potens genitor fac no C a s "fc a suum resonans rec 0 deus 1 n s 0 1 i o i

N u m i xxa nainque tuum mon Gentib ; in ua,stis Edite in terris

Jesus XcristuS slcque ordinatacfu.

r nistua fata dicanc3La 20 cum laudibus ic3L tu

S tro in pectore p O n i t orem ut lingua oantet u dex regnator olimpi S tränt per saecula n. o m e n 25 caelebrant et g;audia mira

saluasti secla rodemptor Spiritus aethralem tibi laudem splendidus aptet Subiciens hominom et perlustrans lumina terrae Egregium regexxx gnatum praoconia faustum 30 Ruricolae iugiter dic^tnt cum carmine clara Almoque feruens g^remio signaba,t a b i s a g

Totum quadrad±ens constjat sapientia iusti Architenens altor qui side r Ck, clara gubernaS Rurigenae praesta ul; certus solamina possit 35 Tradere per sacras scripliuras grammate doctor Excerptus prisco piJLOrorum indaginis usu Magna patri et proli cujacL flamine gratia dicam

Laubmann: Mittheilungen aus Würzburger Handschriften. 5

Notizen über meine Transscription der Handschrift. Die Abkürzungen habe ich hier und auf der folgenden Seite sämmt- lich aufgelöst; es sind die gewöhnlichen, z. B.

& V. 1, 5, 26, 29, 38 namq; v. 2, 25 näq; v. 4 -- v. 19 cäpos V. 9 nepe v. 16 cautE e v. 13 und dergleichen mehr oma V. 6 oma scä v. 18 sicq; v. 19 p v. 36 pdant v. 15 und dergl. öfter parit v. 7 iugit v. 31 stipabt v. 9 dabit' V. 8 damnent' v. 11 ssecla v. 6, s^cula v. 16, sgc-/a v. 25, secia V. 27, »"qd, duplad: = sequa diuisio, dupla diuisio u. s. w.

Zu den einzelnen Versen ist zu bemerken: V. 15. Regmina "* pdant] ut von 1. Hand über der Linie. V. 17. uitima] a ist unsicher: mehr darüber unten.

Zwischen v. 19 u 20 steht am Rand von der Hand des Schreibers:

est, das sich entweder auf v. 19 beziehen soll: namuictor Jesus

Xristus est oder auf v. 20, so dass es zu dapsilis in pastis

gehörte. V. 20: hier hören die Distichen auf. V. 26 hat die Hdschr. Tentib; aber das Acrostichon zeigt, dass es Gen-

tibus heissen muss.

cselebrant] des Metrums wegen ist celebrant zu lesen. V. 27. Die Hdschr. hat sec-/a; da aber secula nicht in das Metrum passt,

ist ssecla zu schreiben. V. 30 hatte der Schreiber zuerst pr^ geschrieben, dann aber, als er sah,

dass er e für das Mesostichon brauche, prae daraus corrigirt. V. 32. Alraoq; habe ich wohl richtig in Almoque aufgelöst.

V. 37 hat die Handschrift prisco] o und i von 1. Hand.

Sitzung der philos.-phüöl. Classe vom 5. Januar 1878.

Fol. 44^

Nam prior pars circuii huius usque ad medium crucis quibusdam pentametris intersertis decurrens pinguitur uer- . sibus qui licet pedestri remigio tranent non tarnen heroici nee omnino perfecti decursa esse noscuntur; praeter crucem 5 autem supradictam in circulo heroici uersus et perfecti decursant.

De syllabis. Disyllabi. pyrricbius fuga ex yj ^ seqna diuisio

spondeus jestas ex sequa diuisio lO

iambus parens ex u _ dupla diuisio

trocheus meta ex ^ dupla diuisio Trisillabi. macula ex ^ ^ ^ dupla diuisio ex

seneas ex dupla diuisio

erato ex ^ ^ sequa diuisio

tribrachus

molosus

anapestus

dactilus menalus ex ^ «>^ sequa diuisio

ampbibrachus carina ex '^ "^ tripla diuisio ampbimachrus insolse bachius acbates

ex u sescupla diuisio ex yj sescupla diuisio

antibacbius

/\

natura ex

Tetrasyllabi. proceleumaticus auicula dispondeus oratores diiambus propinquitas ditrocbeus cantilena antispastus solonius coriambus armipotens ionicus minor diomedes ionicus maior iunonius peon primus legitimus peon secundus colonia peon tertius menedemus peon quartus celeritas epitritus primus sacerdotes epitritus secundus conditores ex epitritus tertius demostenes ex

sescupla diuisio

ex ^ ^ ^ ^ sequa diuisio

ex sequa diuisio

ex v^ u sequa diuisio

ex -- ^ «^ sequa diuisio

ex V Kj sequa diuisio

ex ^ <j sequa diuisio

ex[ ^ ^ dupla diuisio

ex w yj dupla diuisio

ex] _ u u w sexcupla diuisio

ex yj ^ ^ sexcupla diuisio

ex yj yj yj sexcupla diuisio

ex yj yj y^ sexcupla diuisio

ex v^ epitrita diuisio

u , epitrita diuisio

yj epitrita diuisio

15

20

25

30

35

epitritus quartus fescenninus ex w epitrita diuisio

Laubmann: Mittheilungen aus Würzhurger Handschriften. 7

Varianten der Handschrift, Bemerkungen zu einzelnen Stellen sowie über den Ursprung dieser Eintheilung der

Metra. 11 parens ex ^ '-' codex. 17 dactib; codex. 19 amphimachrus] mach in ras. 1. man.

sescupla aus sesclupa corrig. von 1. Hand, ähnlich in v. 20. diuisio] dium die Hdschr., aus Missverständniss der Abkürzung diu. 23 procleumaticus codex.

27 antispatus codex.

solonius] aus metrischen Gründen nach Donat und Isidor in Salo- ninus zu emendiren.

28 coriambus] o in Rasur von b oder h.

29 31 die zwischen [ ] stehenden Worte fehlen in der Handschrift. 33 mennederaus 37 demonstenes 38 fiscennius codex.

2 pinguitur] ob diese Form für pingitur wohl möglich ist?

3 tranent] dies Wort kommt bei Bonifaz auch sonst vor: Aenigm.

V. 165, 298, 325.

3 sq. qui licet pedestri noscuntur] hier verstehe ich wohl den Sinn,

aber die Worte können kaum richtig sein, und doch scheint auch mit Einsetzung von non oder minime, also: qui licet non pedestri remigio tranent, wenig geholfen.

4 decursa esse] kaum richtig: wiewohl ich nicht an der Passivform

Anstoss nehme; denn auch Aldhelmus Aenigm. lib. prolog.

V. 27 sagt:

»nigmata ritu dactylico recte decursa:

also ist hier wohl decursi esse zu schreiben. 7 sqq. Der Abschnitt De syllabis bis Schluss ist gebildet nach Donatus = H. Keil, Grammatici latini IV 369, 20 370, 26 (cf. p. 425) und Isidor, Etymol. I 17, 23—27. Dorther wurden auch die Beispiele für die Lücke zwischen ionicus minor und peon primus ergänzt; die übrige Ausfüllung der sofort erkannten Lücke ergab sich beim ersten Lesen von selbst. Die Frage, ob Bonifaz aus Donat oder Isidor geschöpft hat, ist gleichgültig; Isidor selbst hat jedenfalls, wie die ganz gleichlautenden Beispiele zeigen, Alles aus Donat genommen. Die Reihen- folge der Versfüsse bei Gaisford, Scriptt. lat. rei metr., pg. 578 579 (= Rhein. Museum XXIII, 403 404) stimmt mit Isidor, unsere Auf- zählung aber mit Donat überein. Vgl. Rabanus =: Migne CXI, 675.

Dass auch diese metrische Exposition zu dem Gedicht von Bonifatius herrührt, also die ganze Seite, scheint nicht zweifelhaft, wenn man den Vorgang des Aldhelmus beachtet, der als Einleitung und Nachschrift zu seinem Aenigraatum liber in Form einer Epistola ad regem Acircium eine vollständige Darstellung der lateinischen Metrik gibt. Warum sollte Bonifatius nicht etwas Aehnliches gethan haben?

8 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 5. Januar 1878.

Acrostichon und Telestichon unseres Gedichtes bilden zwei Hexameter:

üynfreth priscorum Duddo congesserat artem, üiribus ille iugis iuuauit in arte magistrum und diese nämliclien beiden Verse ergeben sich nochmals aus der rechten und linken Seite des rhombusrA^förmigen Mesostichons , während die Mitte des ganzen Gedichtes ein Kreuz darstellt mit der Inschrift: Jesus Xristus; so zwei- mal: von oben nach unten und Ton links nach rechts zum Theil also die nämliche Form, die sich bei H. Hagen, Carmina medii sevi inedita, Bern 1877, pg. 215 und 221, findet. *) Mit dem Kreuz aber hängt etwas Anderes zu- sammen: Der Mittelpunkt des Ganzen ist Jesus Christus; über dem waagrechten Kreuzbalken sind Distichen, unter demselben lauter Hexameter.

Ob sonst noch in einem Gedicht Hexameter und Di- stichen in solcher Verbindung vorkommen, weiss ich nicht; doch macht mich E. Dümmler, der die Güte hatte den ersten Entwurf dieser Abhandlung durchzulesen und eine Anzahl trefflicher Bemerkungen beisteuerte, auf Alcuin's vita s. Wil- librordi (Jaffe, Biblioth. VI, 39 79) aufmerksam, deren erstes Buch in Prosa abgefasst ist, während das zweite aus

3) Von Vorgängern des Bonifatius in der Verfertigung acro-, meso- und telestichischer Dichtungen sind hauptsächlich zu nennen Puhlilius Optatianus Porfyrius und Venantius Fortunatus; kurz nach Bonifatius war in ähnlicher Weise Eabanus Mauruy auf diesem Felde thätig.

Lucian Müller hat jüngst (Leipzig, beiTeubner, 1877) den Porfyrius in trefflicher Bearbeitung neu herausgegeben, und während diese Blätter in die Druckerei gehen, kommt mir ein ausgezeichneter Aufsatz des nämlichen Gelehrten zu Gesicht, der in „Nord und Süd. Eine deutsche Monatsschrift." IV. Band, Januar 1878, 10. Heft, Seite 84—99, unter dem Titel „Ein römischer Dichter aus der Zeit des Kaisers Constantin* eine genaue, erschöpfende und sehr interessante Schilderung aller Vers- Icünsteleien seines darob aus der Verbannung zurückgerufenen Poeten gibt«

Laubmann: Mittheilungen aus Würzburger Handschriften. 9

12 Distichen (als Einleitung), etlichen hundert Hexametern und 51 Distichen (als Schluss) besteht.

Die in den zwei acrostichischen Hexametern genannten Personen Vynfreth und Duddus sind jedenfalls der Absender und der Adressat des Gedichtes.

Ausdrücklich als Lehrer der Dichtkunst wird Bonifatius gerühmt Ep. 95: *) Hanc itaque nuper metricse artis peritiam domini nostri Bonifacii sub magisterio didi- ceram; von seiner Beschäftigung mit Grammatik und Metrik noch im Kloster Nhutscelle zeugt Willibald, vita s. Bonifacii, cap. H:*) ita ut maxima demum scripturarum eruditione tam grammaticae artis eloquentia et metrorum medullata fa- cundise modulatione, quam etiam historiae simplici expositione et spiritalis tripertita intellegentiae interpretatione inbutus dictandique peritia laudabiliter fulsit.

Epist. 23®) sendet Lioba am Schluss ihres Briefes vier Hexameter eigener Dichtung an Bonifatius „tuo auxilio indigens", wie sie schreibt; und ep. 99 ^) schickt ein Un- genannter, Schüler des Bonifaz, seinem Lehrer 20 Verse und zwar „correctionis causa''.

Verse von Bonifatius selbst finden sich:

Epist. 9^) am Schlüsse des Briefes an Nithard, gereimte jambische Hemistichien, deren neun den Namen des Adres- saten als Acrostichon enthalten; ep. 10 am Ende, worüber nichts weiter zu bemerken , und ep. 42 ') am Schlüsse des Schreibens von Bonifaz an Papst Zacharias wegen des Bis- thums Wirzburg (6 Hexameter). Dazu kommen dann die

4) Jaffe, p. 243 unten.

5) Jaffe, p. 435 med.

6) Jaffe, p. 84.

7) Jaffe, p. 247—249.

8) Jaffe, p. 52 sq.

9) Jaffe, p. 116.

10 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 5. Januar 1878.

oben schon angeführten Aenigmata und als neuestes unser Fund.

Soviel über Winfried als Lehrer wie als Dichter; wir kommen jetzt zu dem Schüler, an den die neuentdeckten Verse gerichtet sind.

Nun ist uns durch ein günstiges Geschick in dem Brief- wechsel des Bonifaz ein Brief desselben an diesen Schüler Dudd ^^) erhalten, dessen Inhalt sich mit dem unserer zwei acro-, resp. telestichischen Hexameter nahezu deckt. * *)

Günstig trifft es sich auch, dass „Dud abbas" in einer Ur- kunde vom Jahre 744 vorkommt (nach Jaffe, p. 97 not. 1, bei Kemble, Cod. dipl. aevi Saxonici I, 111); in diese Zeit, ob etwas früher oder später lässt sich kaum sicher bestim-

10) Wenn es in dem sogleich folgenden Brief in der Anrede heisst: „Dilecto filio Duddo abbati", so ist Duddo Dativ zu dem Nominativ Dudd oder Duddus; es ist also in der Ueberschrift statt Duddonem ab- batem zu schreiben: Duddum abbatem. Auch im Index bei Jaffe steht aus Versehen: Duddo abbas.

11) ep. 31 (Jaffe, p. 97 sq.): Dilecto filio Duddo abbati Bonifacius qui et Wynfrethus seruus seruorum Dei optabilem in Christo caritatis salutem.

Memorem te esse, fili carissime, desidero sapientis cuiusdam sen- tentiae, qui dixit: Serva antiquum amicum; ut antiquse amicitiae, quam in pueritia iam olim coepimus et seruauimus, in senectute non obliuiscaris ; sed recorderis patris tui, iam nunc decrepiti et membris omnibus ad viam uniuersse terrae uergentibus. Et licet parum doctus praeceptor fuissem, tarnen tibi omnium deuotissimus, ut ipse testis es, esse studiui. lUius ^euotionis memor, miserere iam senis Germanici maris tempesta- tibus undique quassantibus fatigati; hoc est, ut orationibus ad Deum fusis me sublevare studeas et in sanctis scripturis adiuuare; maxime in

sanctorum patrum spiritalibus tractatibus Rogo, ut

mihi in adiutorium diuinae scientiae partem tractatus super apostolum Paulum, quae mihi deest, mittere digneris. Habeo enim super duas epistolas tractatus, id est ad Romanos et ad Corintheos primara. Similiter ut quicquid in sacro scrinio inueneris et mihi utile esse arbitreris et me latere uel scriptum non habere aestimes, insinuare, sicut fidelis filius licet rustico patri, et rescripta beatitudinis tuae dirigere dignare..

Laubmann: Mittheüungen aus Würshurger Handschriften, 11

men, mag auch der Brief und unser Gedicht zu setzen sein. Unter einer Synode von 716 (Haddan & Stubbs, Councils III, 301) findet sich Signum manus Duddan praepositi; doch ist das für den unsrigen vielleicht etwas zu früh.

Nach Ebert, 1. 1. p. 582, bezeichnet sich Columban in einem Acrostichon an Hunald in den Anfangsbuchstaben selbst als den Schreiber; und im Prolog zu seinem Aenig- matum liber nennt sich Aldhelmus sowohl mit Acro- als auch mit dem gleichlautenden Telestichon als den Verfasser des Ganzen:

Aldhelmus cecinit millenis uersibus odas. Ein Zweifel also , dass unser Gedicht in Wirklichkeit von Vjnfreth ist, ist kaum möglich ; doch will ich für alle Fälle zu einzelnen unserer 38 Verse mehr oder weniger ähnliche oder gleichlautende Stellen aus den Aenigmata (Zählung nach Bock) geben.

Zu V. 1. Versibus en iuuenis durant et carmina cantu vergl. man den Anfang des Räthsels Misericordia, v. 83: Moribus en gemine uariis et iure sorores. 3. Nisibus eximiis = Aenigm. v. 104, cf. v. 125. 5. torribus Aen. v. 106. 287.

9. tribunal = Aen. v. 162.

^' , , 1 . r= Aen. v. 358 : Limpida quo- 29. perlustrans lumma J

que modo perlustret lumina Titan (die Ein- siedler Hdschr. hat perlustrant lumina [i. e. sol et luna] terras).

11. perpetuse uitse =: Aen. v. 155.

15. sub Tartara trusi Aen. v. 243; ähnlich v. 252, 297, 301 u. ö.

15. Regmina = Aen. v. 60, 87, 119, 266.

24. Olimpi = Aen. v. 93.

27. saluasti ssecla redemptor cf. Aen. v. 34: restaurat secla redemptor.

12 Sitzung der philos,-philol. Classe vom 5. Januar 1878.

31. ruricolee = Aenigm. v. 142, 296.

iügiter = Aen. v. 58, 71, 98, 108,

118, 148, 286, 279, 337, 370 u. ö.

34. architenens Aen. v, 33.

35. rarigense = Aen. v. 338, cf. epist. 31,

oben S. 10, not. rustico. solamina Aen. v. 342.

Es erübrigt mir noch , das Gedicht in Kürze kritisch und exegetisch zu behandeln, wobei freilich des Dunkeln, Ungewissen und Unverständlichen genug bleiben wird. *^) Denn wenn Bock (1. 1. p. 252) schon bei den einfachen Acrostichen der Aenigmata über den oft wenig entsprechenden Inhalt, über die Schwerfälligkeit der Worte und Gedanken klagt, was dürfen wir erst hier erwarten, wo der Dichter durch Acro-, Tele- und doppeltes Mesostichon in jedem Vers viermal in der Entwicklung seiner Gedanken gehindert und durch schwere Fesseln zur Undeutlichkeit und Ge-

12) Sagt doch selbst Lucian Müller, a. a. 0. S. 97, von einem so gewandten Dichter nnd so gewiegten Verskünstler, wie Porfyrius war, Folgendes: „Fragt man nach dem ästhetischen Werth des Inhalts, so begreift sich, dass von einem hohen Aufschwung derPhantasie des Dichters, auch wenn er damit noch so reich begabt gewesen wäre, keine Rede sein konnte. Die unzähligen Vers-, Wort- und Buchstabenkünsteleien mussten in dieser Beziehung wie enge Schnür- stiefeln wirken. Desto mehr ist es anzuerkennen, dass trotzdem mehrere Stellen ganz gelungen sind, und das Ganze, mit nicht zu vielen Aus- nahmen, nicht zurückbleibt hinter der gleichmässigen Mittelmässigkeit, die in der römischen Poesie so zahlreich vertreten ist . , . Die Sprache . . leidet natürlich nicht selten an Geschraubtheit, Dunkelheit sowie Wie- derholungen von Wörtern und Gedanken, Alles Folge der technischen Schwierigkeiten. Es sind deshalb auch in der neuesten Ausgabe eine Anzahl unverständlicher Stellen stehen geblieben, und ich habe einigen Grund zu glauben, dass die meisten derselben nie auf's Reine gebracht werden dürften". Kann es eine bessere Rechtfertigung des an Gewandtheit mit Porfyrius nicht entfernt zu vergleichenden Bonifatius geben?

Laubmann: Mittheilungen aus Würzhurger Handschriften, 13

schraiibtheit verurtheilt war. Zwei seiner Verse müssen mit g enden: lateinische Wörter fand er dafür nicht; also wurden aus der Bibel Magog und Abisag genommen, und es ist kein Wunder, dass gerade diese Verse nicht an allzu- grosser Klarheit leiden.

V. 1 3 wird man construiren müssen: En iuuenis (als Vo- cativ, Anrede an Dudd) uersibus et cantu durant car- mina; namque lector (nämlich, lieber Leser) carmina eins qui nisibus eximiis ymnos dei et ymnica dicta uiri renouat.

Ob namque so richtig aufgefasst ist? ob uiri, das man gerne dem ymnos dei entsprechend mit ymnica dicta verbindet, nicht doch vielleicht zu renouantis zu construiren ist? Wäre iuuenis (v. 1) Genetiv, zu car- mina gehörig, so wäre damit auch die Verbindung ymnos dei, ymnica dicta uiri sichergestellt. V. 4—7. Dass statt des überlieferten remina vielmehr reg- mina zu schreiben ist, scheint sicher; iuste, v. 7, ist wohl in iusti zu verbessern. Aber was sollen nun die Worte flumina iudicii bedeuten? E. Dümmler hat an Fulmina gedacht, und es Hesse sich nun so construiren: namque (nur anknüpfend) pius (= deus) torquebit (wird schleudern) fulmina temporibus iudicii (zur Zeit des jüngsten Gerichts) frangere (umzubrechen??) reg- mina (die irdischen Reiche) torribus (durch Feuerbrände). V. 7 10. Mit pariter beginnt der nächste Satz; für tania ist taenia zu schreiben, für regi, wie Dümmler vorschlägt, regni. „In gleicher Weise wird dann die goldene Binde (d. h. der Schmuck) des Reiches, der Herrschaft, den Heiligen hier schon verliehen werden: und in dieser (mit dieser angethan) werden die Frommen in den Ge- filden des Himmels in Frieden den Richterstuhl um- drängen, und sie loben zugleich die Herrschenden und die lichten Himmelsreiche' ^

14 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 5. Januar 1878.

Jedenfalls ist pii noch Subject zu laudant, regnantes aber Object dazu, ebenso wie limpida regna.

V. 11, 12 geben grossen Anstand. Die Freuden des ewigen Lebens können nicht impia heissen und es ist noth- wendig, einen Fehler anzunehmen. Perpetuo zu schreiben und vita auf das irdische Leben und seine Freuden zu beziehen wird deshalb nicht angehen, weil der Penta- meter mit den Worten in terris offenbar einen Gegen- satz bilden soll; also muss per petuse bleiben. Nur um die beiden Verse nicht ganz unverständlich zu lassen, schlägt Dümmler In pia und dominentur vor, „damit sie gebieten über die frommen Freuden des ewigen Lebens" (d. h. damit ihnen dies zu Theil wird), „sollen sie die schmutzigen Werke auf Erden verachten", uiri wäre als Subject zu nehmen , also ,,die Menschen". Aber was soll der Infinitiv spernere? Uebrigens sehen die Worte Impia und damnentur viel zu acht aus, und es muss Anderen überlassen bleiben, einen befriedigenden Heilungs versuch zu finden, der sich mit dem Metrum verträgt. Ut damnentur könnte auch von dem folgenden cautum est abhängen, wenn nur die nächsten Verse nicht wieder unklar wären.

v.*13 15. impia origo Magog werden die Heiden genannt als Nachkommen Magog's, des zweiten Sohnes Japhet's (cf. Ezech. XXXIX, 6: et immittam ignem in Magog et in bis qui habitant in insulis confidenter et scient, quia ego Dominus). Weiter : Kann cassu vergeblich, umsonst oder sonst etwas heissen? Kaum; ich gebe aber das Wort nur ungerne auf, um mich Dümmler's Vorschlag: casu anzuschliessen. Subject zu defleat ^')

13) lieber diese Synicese, sowie über lingüa, v. 23-, lassen sich die Beispiele erst sammeln, wenn die Aenigmata des Bonifatius in dem ge- reinigten Text, den Dümmler für die Monumenta Germaniae vorbereitet, einmal vorliegen werden.

Laubmann'. Mittheilungen aus Würzburger Handschriften, 15

kann jedenfalls nur impia origo Magog sein, wiewohl dann omnes gentiles, das Subject zu perdant, sehr sonderbar eingeschoben ist. Wer will, kann auch defleant schreiben: imp. origo M. würde dann Appo- sition zu omnes gentiles.

„Dass das ruchlose Geschlecht des Magog niemals seine Strafen (d. h. seine Vergebungen) beweint (be- reut), ist durch seinen Fall vorgesehen, so dass alle Heiden die Herrschaft verlieren und gleichmässig in die Hölle hinabgestossen werden". Wer weiss etwas Besseres ?

V. 16, 17. Diese zwei Verse sind wenigstens zu verstehen, uitima, wie die Hdschr. hat, muss gebessert werden; das zunächst liegende uictima geht, abgesehen von an- deren Gründen, schon des Metrums wegen nicht; man könnte an uentura (uetura) denken; näher liegt wohl uitricia (oder vielmehr uictricia) oder uitalia ^*) zu emendiren, bei denen die Anzahl der Striche immer die gleiche ist wie bei der handschriftlichen Ueberlieferung. mirifico amni absoluens bezeichnet die Taufe als Vor- bedingung zum Eintritt in das Reich Gottes.

„Denn der einige Gott hat alle Welten (alle künftigen oder alle erlebbaren Jahrhunderte) den Seinigen durch die Taufe übergeben": dem Christenthum gehört die Zukunft der Welt.

V. 18, 19 sind wieder schwieriger. Gehören die Worte diues in arte sua noch zu dem Vorausgehenden? Was heisst omnia sancta gradu? Wohl kaum „reich in seiner Kunst macht er Alles heilig durch seinen Schritt". Aber auch mit der Vermuthung „in arce sua, in seiner himmlischen Burg" kommt man nicht weiter; und es

14) Vielleicht dass der "Vers Lucret. I, 202:

multaque uiuendo uitalia uincere saecla dem Bonifaz aus einem metrischen Compendium bekannt war.

16 Sitzung der philos-philoL Classe vom 5. Januar 1878.

ist gewiss ebensowenig zusammen zu construiren: Nam Jesus Christus uictor (est) sicque ordinat omnia sancta gradu, „und so ordnet (regiert) er alles Heilige nach seinem Range". Vielleicht liegt die Hülfe in der Aender- ung eines einzigen Buchstaben.

V. 20, 21. Die Worte dapsilis in pastis könnte man noch zum Vorausgehenden ziehen „freigebig in seinen Spenden". Doch halte ich es für wahrscheinlicher, dass dapsilis Vocativ ist, der sich in den folgenden Versen fortsetzt : 22. Omnipotens genitor, 24. 0 deus, 27. Edite in ter- ris, 34. Architenens altor; also: concedebemis (ob Neben- form zu uernis, von uerna oder b und v einfiach ver- wechselt?) tibi deuotis tua fata cum laudibus dicanda. „Reichlicher Spender, gewähre den Dir ergebenen Dienern, dass sie mit Lobrühmen Deine fata (kaum in facta zu corrigiren) verkünden".

Bis hieher waren die Verse allerdings, wie es in der metrischen Erläuterung, f. 44'' (oben S. 6) heisst, non omnino perfecti ; von jetzt ab geht es etwas besser.

V. 22 31. Omnipotens genitor, fac tu, id in pectore nostro poni, ut casta lingua rectorem suum resonans cantet. 0 deus, in solio iudex, regnator Olimpi: namque nu- mina tuum nomen per saecula monstrant et in gentibus vastis mira gaudia celebrant. Edite in terris (Erd- geborener, du hast die Welt erlöst), saluasti saecla re- demptor : tibi Spiritus splendidus laudem aethralem aptet, hominem subiciens et lumina (ob limina?) terrae per- lustrans. Jugiter clara prseconia ruricolse (wohl = Bonifatii) egregium regem, gnatum faustum cum carmine dicant. Die nächsten zwei Verse sind wieder unklar.

V. 32, 33. Abisag ist die aus III. Regg. cap. 1 u. 2 be-

* kannte sunamitische Dirne, welche den alternden und frierenden König David erwärmen und ihm dienen soll. Von Dümmler darauf aufmerksam gemacht, dass nach

Laubmann: Mittheilungen aus Würzhurger Sandschriften» 17

Rabanus Maurus' Commentar zu den Büchern der Könige ( Migne Patr. CIX, 123 125) Abisag nach allegorischer Auslegung die himmlische Weisheit bedeuten soll : ,,ut significet calere sapieutiam et diuina lectione fernere", was Raban aus einem jedenfalls auch dem Bonifaz be- kannten älteren Kirchenvater habe, fand ich bald, dass Rabanus nur den 52. Brief des Hieronymus (ad Nepo- tianum = Migne, Patr. XXII, 527 530) ausgeschrieben, der gewiss auch dem belesenen (cf. oben S. 10, not. 11) Bonifaz nicht unbekannt war. quadradiens ändert Dümmler in ,,quod radians" ; vielleicht kommen wir durch quo radians dem Richtigen noch näher. Bonifaz hatte V. 31 von Vater und Sohn gesprochen: Abisag bezieht sich wohl auf den Geist. ,,Et Abisag alrao gremio feruens signabat totum, quo constat radians sapientia iusti" = Und die almo gremio feruens Abisag bezeichnete das Ganze ,, woraus die strahlende Weisheit des Gerechten besteht" (oder quod constat: ,,was die strahlende Weisheit des Gerechten ausmacht").

V. 34 36. Architenens altor, qui sidera clara gubernas, praesta rurigense (i. e. mihi Bonifatio) , ut certus per scripturas sacras solamina possit tradere.

V. 36. Grammate" Jdoctor excerptus prisco usu indaginis puerorum kann wohl nur heissen: „meinem Beruf, meiner Thätigkeit als Lehrer der Grammatik, gramraa, und damit dem langgewohnten Umgang mit der Jugend entnommen (man fühlt wohl aus den lateinischen Worten etwas Wehmüthiges heraus) will ich grossen Dank sagen dem Vater und dem Sohn sammt dem heiligen Geist". Magna gratia ist nom. sing.

Zum Schlüsse will ich das ganze Gedicht hersetzen, wie ich es zu restituiren versuchte ; möge es recht bald von all' seinen Flecken und Mängeln gereinigt werden. [1878. 1. Philos -philol. Ol. 1.] 2

18 Sitzung der philos.'philöl. Classe vom 5. Januar 1878.

Wenn es nicht von Wynfreth herrührte, würde man freilich kaum so viel Mühe daran wenden mögen : aber er verdient es und zumal von Wirzburg, das er dem Papste zur Gründung eines Bisthumssitzes vorschlug.

Uersibus en iuuenis durant et carmina cantu, Ymnos namque dei, ymnica dicta uiri

Nisibus eximiis renouantis carmina, lector. Fulmina namque pius frangere iudicii

5 Regmina temporibus torquebit torribus et sub

Excelsi fatu omnia saecla diu Tuta tenent iusti. Pariter tum taenia sanetis

Hie dabitur regni aurea hacque pii Per cseli campos stipabunt pace tribunal,

10 Regnantes laudant limpida regna simul.

In pia perpetuae ut dominentur gaudia uitse,

Sordida in terris spernere gesta uiri. Cautum est ut numquam defleant supplicia casu Omnes gentiles, impia origo Magog,

15 Regmina ut perdant pariter sub Tartara trusi.

Unus nempe deus saecula cuncta suis Mirifico absoluens uitalia (uictricia?) tradidit amni:

Diues in arte sua omnia sancta gradu Victor nam Jesus Christus sicque ordinat actu.

20 Dapsilis in pastis, uernis tua fata dicanda Deuotis concede tibi cum laudibus. Id tu Omnipotens genitor fac nostro in pectore poni, Casta suum resonans rectorem ut lingua cantet. 0 deus in solio iudex regnator Olimpi:

25 Numina namque tuum monstrant per saecula nomen, Gentibus in uastis celebrant et gaudia mira. Edite in terris : saluasti saecla redemptor ; Spiritus aethralem tibi laudem splendidus aptet, Subiciens hominem et perlustrans lumina terrae.

Laubmann: Mittheilungen aus Würzhur ger Handschriften. 19

30 Egregium regem, gnatum prasconia faustum Ruricolaß iugiter dicaut cum carmine clara: Almoque feruens gremio signabat Abisag Totum, quod (quo?) radians constat sapientia insti. Architenens altor, qui sidera clara gubernas,

35 Rurigen 3e prsesta, ut certus solamina possit

Tradere per sacras scripturas. Grammate doctor Excerptus prisco puerorum indaginis usu „Magna patri et proli cum flamine gratia" dicam.

Die oben Seite 8 med. angeführten Gedichte in. Hagen's Sammlung , sowie viele der poetischen Erzeugnisse des Optatianus Porfyrius, des Venantius Fortunatus (Mise. Hb. II, 4, 5. V, 7), des Magnentius Rabanus Maurus (de laudibus sanctae crucis) unterscheiden sich formell darin von dem oben gedruckten Gedicht des Bonifatius, dass sie die Form eines Quadrates bilden d. h. jede Zeile ebensoviel Buch- staben hat als das ganze Gedicht Zeilen, was die typo- graphische Reproduction derselben sehr leicht macht; bei Bonifaz hat die eine Zeile mehr, die andere weniger Buch- staben.

Im 16. Jahrhundert hat Lambertus Rustenius, Artium et Philosophiae Magister, 2 künstliche Gedichte gefertigt , deren erstes Ära Crucis betitelt ist und aus 16 Distichen besteht, welche Golgatha mit 3 Kreuzen dar- stellen, deren Inschriften voll von Künsteleien sind.

Das andere Gedicht ist ein Rosarium; der in grösseren und kleineren Perlen dargestellte Rosenkranz sammt Kreuz

2*

20 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 5. Januar 1878.

enthält die Worte Jesus Christus und den vollständigen englischen Gruss.

Ich kenne von diesen Spielereien 2 Ausgaben : die eine, colorirt, ex officina Aegidii Diest, Antverpiae. 1564; die andere, im erläuternden Text ausführlicher, trägt die Be- zeichnung: Parisiis, apud Annetum Briere.

Herr Lauth hielt einen Vortrag:

„Ueber Busiris und Osyraandyas''.

Derselbe wird in den „Abhandlungen" veröffentlicht werden.

Sitzung vom 9. Februar 1878,

Herr Maurer trug vor:

„Die Freigelassenen nach altnor wegischem Rechte/'

Zu den schwierigsten Abschnitten der altnorwegischen Rechtsgeschichte gehört die Lehre von der Freilassung und den Freigelassenen. Sehr eigen thümlich gestaltet und ungewöhnlich reich gegliedert, hat der Stand der Frei- gelassenen in der älteren Zeit augenscheinlich eine bedeut- same Rolle gespielt; in die verschiedensten Rechtsgebiete greift die Besonderheit seiner Stellung hinüber, und mit den verschiedenartigsten Rechtssätzen und Rechtsinstituten kommt darum in Berührung, wer die Rechtsverhältnisse dieses Stan- des festzustellen unternimmt. Dazu kommt, dass die Un- freiheit, und damit auch die Freilassung in Norwegen schon frühzeitig ausser Gebrauch kam, und dass demzufolge unsere Quellen uns von der Gestaltung des Freigelassenenstandes kein lebensfrisches Bild mehr geben. Der letzte Unfreie, den uns die Geschichtsqnellen nennen, ist BärSr skjöldr, wel- cher im Jahre 1181 an der Seite K. Magnus Erlingsson's, seines Herrn, erschlagen wurde ^), und die Abschaffung der auf öffentliche Kosten alljährlich vorzunehmenden Frei- lassungen, welche der heil. Olaf eingeführt hatte, durch eben jenen K. Magnus bestätigt gleichfalls, dass am Schlüsse des 12. Jahrhunderts die Zahl der Unfreien im Lande nur noch

1) Sverris s., cap. 64, S. 166.

22 Sitzung der philos.-phüol. Glasse vom 9. Februar 1878.

eine geringe gewesen sein kann^). Unsere Rechtsbücher aber, soweit sie überhaupt in ihren das weltliche Recht be- handelnden Theilen erhalten sind, liegen uns nur in Bear- beitungen aus dem 13. Jahrhundert vor, und es begreift sich somit, dass gelegentlich der vielfachen Umgestaltungen, welche sie durchzumachen hatten, bis sie zu ihrem der- zeitigen Aussehen gelangten, gerade die auf die Freigelasse- nen bezüglichen Bestimmungen gar vielfach in Zerrüttung gerathen sein mögen. Endlich hat sich auch die Literatur bisher nur wenig mit dem Stande der Freigelassenen befasst, indem sie denselben immer nur gelegentlich der Besprechung der Unfreien nebenbei mit in Betracht zog, und überdiess, freilich mit einzelnen bemerkenswerthen Ausnamen, mehr dessenjsociale Stellung als dessen Behandlung im Recht in's Auge fasste. Sehe ich ab von ein paar älteren, mir nicht zugänglichen Abhandlungen J. Hertzholm's^) und Fr. Th. Hurtigkarl's^), dann von des schwedisch-finnischen Juristen Matth. Calonius schätzbarer Schrift : De prisco in patria servorum jure, welche zuerst in Gestalt von fünf Disserta- tionen erschien (Abo, 1780, 84, 88, 91 und 93), dann von Schildener nochmals herausgegeben wurde (Stralsund 1819), endlich in des Verfassers Opera omnia, Bd. I, S. 129 344, ebenfalls enthalten ist (Stockholm, 1829), welche aber ge- rade da abbricht, wo der Verfasser im Begri fi^e war zu d'en Freigelassenen überzugehen, so kommt H. F. J. Estrup, Om Trseldom i Norden (Soröe 1823) noch als eine den ganzen Norden umfassende Schrift in Betracht, von welcher S. 106 25 hiehergehört; speciell für Norwegen aber sind zu

1) vgl. Gj es sing, in den Annaler, 1862, S 197—203, und 308, dann meine Abhandlang über die Entstehung der älteren GulaMngslög", S. 148—49.

2) Parerga de Servitute personali et reali; Hafnise, 1673.

3) De servitutis, quse inter majores nostros invaluit, indole; Hafnise, 1791,

Maurer: Die Freigelassenen nach altnorwegischem Rechte. 23

erwähnen: A. E. Eriksen, Om Trsoldom hos Skandinav- erne,^) A. Gjessing, Tr^ldom i Norge,^) und Fr. Brandt, Traellenes Retsstilling efter Norges ganile Love,^j welchen Monograpbieen sich etwa noch R. Keyser, Norges Stats- og Retsforfatning i Middelalderen, S. 289 95/) anreihen lässt. Juristen sind von allen diesen Verfassern, wenn ich widerum von Hertzholm und Hurtigkarl absehe, nur M. Calonius und Fr. Brandt, und so will ich denn, zunächst ihren Fussstapfen folgend, versuchen, wieweit es mir ge- lingen möge, noch etwas mehr Klarheit in die juristische Construction des altnorwegischen Freigelassenenrechtes zu bringen.

Die Unfreiheit war nach norwegischem Recht ebenso wie nach dem Rechte so vieler anderer Völker wesentlich ein vererbliches Verhältniss , und konnte somit nur durch einen förmlichen Freilassungsact beseitigt werden. Das norwegische Recht kennt insbesondere keine zeitliche Begrenzung der Sklaverei, wie solche das gotländische Recht in dem Satze enthält, dass die Freilassung eintreten müsse, sowie die Unfreiheit eine ^bestimmte Reihe von Jahren ge- dauert hat; ^) aber freilich möchte man vermuthen, dass auch dem gotländischen Rechte diese ganz abnorme Bestim- mung nur aus dem mosaischen Sabbathjahre und Jubeljahre zugeflossen sein möge,^) wie ja auch in das angelsächsische

1) In der Nordisk Universitets-Tidsskrift, Jahrgang VIII, Heft 3, S. 1—61 (Christiania, 1861), und Heft 4, S. 83-110 (Upsala, 1862).

2) In den Annaler for nordisk Oldkjndighed og Historie, 1862, S. 28-322.

3) In der Historisk Tidsskrift , I, S. 196—207; Christiania 1871.

4) Nach des Verfassers Tod erschienen in dessen : Efterladte Skrifter, Bd. I, Ahth. I; Christiania, 1867.

5) vgl. Schlyter, Bd. XIII, s. v. mäli; Eriksen, S. 109— 10.

6) IL Mos., 21, 2—11; III. Mos., 25, 39 55; V. Mos., 15, 12-18.

24 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 9. Februar 1878.

Recht dieses Sabbatjahr durch K. ^Elfred hereingebracht wurde. ^) Der Kegel nach war es überhaupt ganz in den freien Willen des Herrn gestellt, ob und wann er seinen Sklaven freilassen wollte, und die verschiedensten Motive und Bedingungen der Freilassung konnten sich dabei er- geben ; insbesondere erfolgte diese bald unentgeldlich, indem der Herr längeren treuen Dienst, oder auch eine einzelne hervor- ragende Leistung seines Unfreien belohnen, oder durch ein sol- ches Werk der Barmherzigkeit für sein eigenes Seelenheil sor- gen wollte, bald gegen Entgeld, indem man den Verwandten und Freunden des Sklaven, mildthätigen Wohlthätern, oder auch ihm selber sich loszukaufen erlaubte. In den Ge- schichfcsquellen werden, mehr freilich für Island als für Norwegen, zahlreiche Beispiele derartiger Vorkommnisse er- wähnt; aber auch die Rechtsquellen wissen ebensogut von einer unentgeldlichen Freilassung,^) als vom Kaufen eines Sklaven zum Zwecke seiner Freilassung ^) oder von einem Loskaufe eines Sklaven durch sich selbst*) zu berichten. Unter den Gesichtspunkt eines Freikaufs fallen übrigens auch die Freilassungen , welche von Staatswegeu erfolgen. Wenn der Heerpfeil Freie und Unfreie zur Vertheidigung des eigenen Landes unter die Waffen ruft, erlangt jeder Unfreie seine Freiheit, welcher im Kampfe einen Feind er- legt, •^) ganz wie diess nach altdänischem Recht der Fall gewesen sein soU;^) ausserdem galt aber auch die, angeblich vom heiligen Olaf eingeführte, Vorschrift, dass alljährlich zu bestimmter Zeit vom Dingverbande, und dann wider von

1) ^Ifredes dömas, Einleitung, §. 11.

2) Gl)L., §. 61.

3) FrJ)L., IX, §. 13.

4) GJL., §. 61; FrJL, IV, §. 55.

5) G1)L., §. 312.

6) Saxo Graramaticus, V, S. 228— 29; vgl. auch noch Jydske Lov, III, 2.

Maurer: Die Freigelassenen nach altnorwegischem Rechte. 25

jedem einzelnen Volklande ein Unfreier auf gemeinsame Kosten freigelassen werden sollte, eine Vorschrift, welche, wie bereits bemerkt, erst durch K. Magnus Erlingsson ab- geschafft wurde. ^) Dass zum Behufe dieser letzteren Frei- lassungen, welche augenscheinlich an die Stelle früherer Menschenopfer getreten waren, Sklaven aus gemeinsamen Mitteln gekauft wurden, wird uns ausdrücklich gesagt; aber auch in dem erstgenannten Falle muss wohl ebenso ver- fahren worden sein, da man doch dem Herrn des mit der Freiheit zu belohnenden Unfreien nicht zumuthen konnte, dass er allein das für seine Belohnung erforderliche Opfer bringe: für diesen Fall musste aber überdiess, da es sich um die Freilassung eines individuell bestimmten Sklaven handelte, dem Staate ein Expropriationsrecht gegenüber dem Herrn dieses letzteren zugestanden werden, so dass also in diesem Falle die Regel eine Ausname erlitt, vermöge deren es im freien Belieben des Herrn stand, ob er seinen Sklaven freilassen wollte ader nicht Noch in einem zweiten Falle wird ein solches Expropriationsrecht gewährt, und zwar in diesem einem Privaten, nicht dem Staate. Hat nämlich ein freier Mann mit einer fremden Sklavinn ein Kind erzeugt, und will dieses als das seinige anerkennen, so soll er berechtigt sein, es um den Werth auszulösen, welcher durch die Schätzung unpartheiischer Männer fest- gestellt wird;^) diess eine Bestimmung, welche im schwe- dischen^) und dänischen*) Rechte eine sogar noch weiter reichende Parallele findet, soferne nach diesen das gleiche Expropriationsrecht jedem Verwandten des Unfreien zu- stand, welcher diesem die Freiheit zu verschaffen wünschte.

1) GJ)L, §. 4-5; FrJL., III, § 19.

2) Gl)L., §. 57.

3) WGL. I, Arft-serb., 22, und II, 31; ÖGL., ^rfl^ab, 17.i

4) SkäneL., 127; Andreas Sunonis, 77.

26 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 9. Februar 1878.

Zu bemerken ist endlich noch, dass die G^L. auch eine Ersitzung der Freiheit kennen , indem sie bestimmen , dass der Unfreie, welcher volle 20 Jahre lang in Bezug auf die Wahl seines Aufenthaltes , seine Verehelichung und seine vermögensrechtlichen Verfügungen unbehelligt geblieben ist, für frei gelten soll , wenn er sich anders für frei ausgeben will.^) Diese Bestimmung erklärt sich aus der durchgreifen- den Regel dieses Rechtsbuches, dass kein gezogenes Zeug- niss über 20 Jahre hinaus vorhält,^) welcher in unserem Falle die Folge gegeben wurde, dass nach Ablauf dieser Frist von dem Freigelassenen kein Beweis seiner Freilassung mehr verlangt werden konnte , vielmehr seiner durch den langjährigen Besitzstand unterstützten Behauptung ohne Weiters geglaubt werden musste. Die an sich nur eine Beweisprsesumption bezweckende Regel hat also hier wie in so manchen anderen Fällen zugleich materielle Wirkung er- laugt, indem sie als Surrogat der Freilassung eine Ersitz- ung der Freiheit entstehen Hess; vollends klar wird dieser Sachverhalt, wenn man beachtet, dass die Fr{>L. umgekehrt für eine Sicherstellung des Zeugenbeweises sorgen , indem sie eine von 10 zu 10 Jahren zu widerholende Bekannt- machung am Ding fordern,^) dafür aber auch von keiner Ersitzung der Freiheit wissen.

Bezüglich der Form der Freilassung unterscheiden die Gf>L. sowohl als die Fr{)L. zwei gesonderte Acte, deren ersterer als das Geben der Freiheit (gefa frelsi) und deren zweiter als das Halten des Freilassungsbieres (gera frelsisöl

1) G5L., §. 61 und 66.

2) vgl. meine Bemerkungen in der Kritischen Viertel Jahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, X, S. 398—400 (1868), und E. Hertzberg, Grundtraekkene i den seldste norske Proces, S. 11 bis 12, (1874).

3) FrfL., IX, §. 12.

Maurer: Die Freigelassenen nach altnonvegischem Rechte. 27

sitt) bezeichnet wird ; die beiden anderen Rechtsbücher, die B{>L. also und die E{>L., enthalten keine einschlägigen Be- stimmungen, da von ihnen nur die das Christenrecht be- treffenden Abschnitte erhalten sind über die eigentliche Freilassung sprechen sich die FrI>L. nicht aus, ausser etwa insoferne, als sie gelegentlich von einer Beweisführung durch Zeugen in Bezug auf dieselbe wissen,^) und damit zu erkennen geben, dass die Zuziehung von Zeugen bei dem Acte üblich war ; die Gl>L. dagegen kenneu eine doppelte Form desselben,^) indem sie den Unfreien entweder in die Kirche führen, ihm hier ein Evangelienbuch auf das Haupt legen , und dabei das befreiende Wort aussprechen , oder aber ihn auf die ,, Kiste" setzen lassen, unter welcher letz- teren man theils einen Reliquienschrein, ^) theils aber den Kasten verstehen will, welcher hin und wider unter dem Hochsitze (als hässetiskista) angebracht war.*) Für die er- stere Auslegung würde der Ausdruck ,,kista" sprechen, da „cista" im mittelalterlichen Latein wirklich den Reliquien- kasten bezeichnet; indessen ist doch kaum anzunemen, dass neben dem ,,leiÖa i kirkju" das ,,setja i kistu" als eine zweite kirchliche Form der Freilassung bestanden haben sollte, und ist somit eher zu vermuthen, dass der letztere Ausdruck auf eine nationale Form des Actes zu beziehen sei, als welche das Setzen auf den Hochsitz allerdings gelten könnte. Die Haltung des Freilassungsbieres aber regeln beide Rechtsbücher ziemlich übereinstimmend.^) Der Freigelassene, welcher diesen zweiten Act vorgenommen wissen will, hat zunächst eine gesetzlich bestimmte Quan- titaet von Bier zu bereiten , nämlich mindestens „I>riggja

1) FriL, IV, §.56.

2) GJ)L, §. 61.

3) Estrup, S. 112, Anm. 2.

4) Gjessing, S. 263.

5) G]^L., §. 62; Frl)L., IX, §. 12; BjarkR, III, §. 166.

28 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 9. Februar 1878.

sälda öl" nacli den G{>L., aber „niu msela öl" nach den Fr{)L. ; ^) da 6 mselir auf das säld giengen , ^) betrug somit das Quantum nach dem letzteren Rechtsbuehe nur halbsoviel als nach dem ersteren. Da ein ,,{)riggja sälda öl" nach beiden Rechtsbüchern bei der settleiSing üblich war,^) ein ebensolches Mass Meths nach der älteren Edda beim Braut- mahle vorkam , *) und nach dem Zeugnisse geschichtlicher Quellen derselbe Betrag an Bier auch wohl den Göttern gelobt wurde,-'') möchte man allenfalls vermuthen, dass das grössere Quantum das ursprünglichere sein möge ; indessen kommt doch anderwärts auch ein ,,ma3lis öl" ^) und ein „tveggja msela öl" vor, ^) so dass die Möglichkeit nicht ausgeschlossen ist, dass die verschiedenen Rechte in diesem Punkte von Anfang an auseinandergegangen sein könnten. Zu diesem Biere hat der Freigelassene sodann unter Zu- ziehung von Zeugen den Freilasser einzuladen, und ihm bei dem Gelage den Ehrenplatz einzuräumen; ausser ihm ist noch eine bestimmte Zahl weiterer Gäste einzuladen, darunter des Freilassers eigene Frau, und dürfen keine mit ihm ver- feindete Personen geladen werden. Am ersten Abende des Gelages hat sodann der Freigelassene seinem Freilasser den Betrag von 6 Unzen als „leysingsaurar" anzubieten , und dabei gleich die Wage bereit zu halten, um sie ihm zuzu- wägen; ich wenigstens möchte unter den ,,skälir", in welche

l) Das Stadt' echt bietet die Variante „nüi nsetta (d. h. nätta) öl" nach welcher Bier fiir eine 9tägige Gasten-i gefordeit wür e.

2)Landslög,Kaupab. §.29; nicht 3 mselir, wie Gjessing, S. 266 annimmt.

3) GJ)L., §. 58; FrjL., IX, §. 1.

4) I»ryinskviÖ"a, 24,

5) FMS, II, cap. 154, S. 16; Flbk, I, §. 307.

6) GI.L., §. 6.

7) FrI)L., II, §. 21.

Maurer: Die Freigelassenen nach altnorwegischem Rechte. 29

die Zahlung zu legen war, lieber Wagschalen verstehen/) als Becken, in welche das Geld geworfen worden wäre, um dessen Güte am Klange zu prüfen.^) Nimmt nun der Herr die angebotene Zahlung an, oder erlässt er sie dem Frei- gelassenen, so ist damit die Sache abgemacht, und können die einmal erlassenen nicht mehr nachgefordert werden ; ^) erscheint er dagegen nicht beim Gelage, so hat der Frei- gelassene den Ehrensitz für ihn frei zu halten, die gehörig erfolgte Einladung desselben durch die beigezogenen Zeugen zu constatiren, und nicht nur am ersten Abende vor jenem Sitze seine Zahlung ganz ebenso anzubieten, wie wenn der Herr anwesend wäre, sondern auch dieses Anerbieten am folgenden Tage beim Mittagsmahle zu erneuern. Meldet sich weder das erste noch das zweite Mal ein Bevollmäch- tigter des Herrn zum Empfange des Geldes, so hat der Freigelassene dieses so lauge aufzubewahren, bis der Herr es ihm selber abfordert ; das Freilassungsbier aber gilt auch solchenfalls als vollkommen richtig gehalten. Die Fr{>L. lassen überdiess bei dem Feste einen Widder schlachten, dessen Kopf abschneiden, und sodann den Herrn von dessen Hals die ,,hälslausn", d. h. Halslösuug nemen, unter welcher doch wohl nur eben jene Zahlung verstanden werden kann ; beim Ausbleiben des Herrn fordern sie ferner, wie oben schon bemerkt, eine von 10 zu 10 Jahren sich widerholende {)ingljsing bezüglich der gehö'rigen Abhaltung des Bieres, wogegen die G{>L. vermöge der ihnen bekannten Ersitzung der Freiheit dieses Auskunftsmittels nicht bedürfen. Eine Bekanntmachung der erfolgten Haltung des Freilassungs-

1) So auch Guä'brandr Vigfusson, h. v.

2) Letzterer Ansicht ist Gjessing, S. 267.

3) So scheint es nämlich verstanden werden zu müssen , wenn in G5L., §. 1'29 die leysingsaurar zu den Vergabungen gerechnet werden, die unwiderruflich sind.

30 Sitzung der phüos-phüol. Classe vom 9. Februar 1878.

bieres am möt, von welcher das Stadtrecht spricht, ^) hat dagegen keine selbstständige Bedeutung, bietet vielmehr nur den Vortheil, dass sie der Nothwendigkeit überhebt, von Fall zu Fall diese beweisen zu müssen. Ich glaube hierauf ausdrücklich aufmerksam machen zu sollen, weil nicht nur die schwedischen und dänischen Rechte die volle Wirkung der Freilassung von der Vorname eines Actes, oder doch einer Bekanntmachung am Ding abhängig machen , ^) son- dern auch das isländische Recht ein ausdrückliches ,,leiSa i log" des Freigelassenen fordert, welches durch den Goden, bei welchem dieser im Dinge war, in der Dingversammlung vorzunemen war.')

Die Umständlichkeit, mit welcher die genannten beiden Rechtsbücher die Haltung des Freilassungsbieres besprechen, zeigt, dass sich an diesen zweiten Act ganz ebensogut wie an den ersten bedeutsame rechtliche Wirkungen geknüpft haben müssen, und dass somit diejenigen Leute, welchen zwar die Freiheit gegeben worden war, welche aber ihr Frei- lassungsbier noch nicht gehalten hatten, eines geringeren Masses von Rechten genossen haben müssen als diejenigen, welche auch diesen zweiten Act hinter sich gebracht hatten. In der That bezeichnen zwar die Gl>L. sowohl als die Fr{)L. und das ältere Stadtrecht den Angehörigen beider Classen ganz gleichmässig mit dem Ausdrucke leysingr oder leysingi, fem. lejsingja, welcher, von dem Zeitworte leysa, d. h. lösen abgeleitet in der That für beide ganz wohl passt ; aber sie unterschieden doch oft genug zwischen dem leysingi ,,sä er gjört hefir frelsisöl sitt", und „sä er eigi hefir

1) BjarkR., II, §. 47.

2) vgl. Gjessing, S. 267-69, dann Nordström, Bidrag -tili den svenska Samhälls-Författniagens Historia, I, S. 100, Anm., und Stemann, den danske Retshistorie, S. 287 88.

3) Kgsbk., §. 112, S. 192; Festal)., cap. 43, S. 357-58.

Maurer: Die Freigelassenen nach altnorwegischem Hechte. 31

gjört frelsisöl sitt", und bemessen den Umfang der Rechte ganz verschieden, welcher diesem und jenem eingeräumt werden will. Wenn wir nun dem gegenüber in den B{)L. sowohl als in den E{>L. von dem leysmgr oder leysingi als einem Freigelassenen höherer Ordnung einen frjälsgjafi, fem. f r j ä l s g j a f a , als einen Freigelassenen geringeren Grades unterschieden sehen, und wenn wir überdiess auch im älteren Stadtrechte einmal die frjälsgefa der leysingja an die Seite gestellt,^) und in den Fr{>L. wenigstens noch ein- mal in einer Capitelüberschrift den frjälsgjafi erwähnt finden,^) so werden wir wohl berechtigt sein anzunemen , dass diese Terminologie mit jener Scheidung eines zweifachen Frei- lassungsactes zusammenhängen , und dass somit unter dem frjälsgjafi der Freigelassene, der sein Freilassungsbier noch nicht gehalten hat , unter dem leysingi aber der Frei- gelassene, der solches gehalten hat, zu verstehen sein werde, wogegen der regelmässige Sprachgebrauch der Gl>L. und Fr{)L., vermöge dessen die Bezeichnung leysingi für beide Classen gemeinsam verwendet wird, als ein erst später auf- gekommener wird bezeichnet werden dürfen. In der That erinnern die leysingsaurar und die hälslausn , welche ge- legentlich des Freilassuno sbieres entrichtet wurden, an die Bezeichnung leysingi, wogegen die sehr alterthümlich gefasste Regel: „frjäls er hverr er frelsi er gefit, ef gefr, er gefa ä,"^) oder: ,,{)ess skal hverr vera leysingi, er frelsi gaf, ef gaf, er gefa ätti ,'* '^) ebenso bestimmt an den Ausdruck frjälsgjafi anklingt. Jedenfalls liegt kein Grund vor, mit Bischof Hannes Finnsson ^) und

1) BjarkR., III, §. 127.

2) FrJ.L, IX, §. 13.

3) Gl)L., §. 61.

4) FrJ)L., IX, §. 10.

5) Tentamen historico-philologicum circa Norwegise jus ecclesiasti-

32 Sitzung der philos-philol. Classe vom 9. Februar 1878.

Estrup ^) Hüter dem frjalsgjafi einen „libertus manumissus e mera domini übertäte (lies liberalitate)/* und unter dem leysingi einen „libertus qui se ipse pecunia e Servitute re- dimit," zu verstehen, und ebenso liegt der Sprachgebrauch des isländischen Rechtes völlig ab, welches als frjalsgjafi nie den Freigelassenen, sondern immer nur den Freilasser be- zeichnet. Die norwegischen Rechtsbücher bezeichnen diesen letzteren ihrerseits immer nur als d r 6 1 1 i n n , d. h. Herr, oder noch häufiger als skapdr öttinn, d. h. rechtmässiger Herr, wobei das Wort skap in den Zusammensetzungen skaparfi oder skaperfingi, skapboetandi und skap{>iggjandi, skapl>ing, oder auch skapdauSi, skaplag, lediglich das Ord- nungsgemässe und Gesetzliche des Verhältnisses hervorhebt ; es ist völlig unbegründet, wenn Gjessing unter dem dröttinn immer nur den Herrn eines Unfreien, unter dem skapdröttinn dagegen den Patron eines Freigelassenen verstehen will , ^) vielmehr wird der letztere abwechselnd mit beiden Aus- drücken bezeichnet.^) In den dänischen und schwedischen Rechtsbüchern dagegen tritt der Ausdruck frselsgivi, fraels- giva wider lediglich als Bezeichnung der Freigelassenen auf, und zwar ohne Unterscheidung der beiden Classen von solchen, welche auch diese beiden Rechte sonst auseinander- zuhalten wissen.*)

Das richtige Verständniss , und mehr noch die über- sichtliche Darstellung der auf die Freigelassenen bezüglichen Rechtsregeln wird schon dadurch sehr erschwert, dass nach dem soeben Bemerkten zwei verschiedene Classen von solchen ganz getrennt zu halten sind, während doch gerade die-

cum, quod Vicensium sive priscura vulgo vocant, S. 36 und 37, Anm. 68 und 69.

1) Estrup, S. 117.

2) Gjessing, S. 322.

3) z.B. GJ)L., §. 67.

4) siehe Schlyter, h. v.

Maurer'. l)ie Freigelassenen nach altnorwegischem Rechte. 33

jenigen beiden Rechtsbücher , welche uns allein einiger- raassen vollständig erhalten sind, für beide eine und dieselbe Bezeichnung brauchen, und nicht immer durch weitere Bei- sätze zu erkennen geben, welche von beiden Classen sie an jeder einzelnen Stelle im Auge haben. Eine weitere Schwierigkeit liegt aber darinn, dass unter gewissen Vor- aussetzungen die Wirkungen, welche sich sonst nur an die Haltung des P'reilassungsbieres knüpfen , ganz oder theil- weise auch eintreten können, ohne dass dieses gehalten wurde, und dass insbesondere auch andere Rechtsacte als ganz oder theil weise wirksame Surrogate für das Freilas- sungsbier gelten; dass ferner an der eigen thümlichen Be- handlung der Freigelassenen in gewissem Umfange auch deren Nachkommenschaft Antheil nimmt, wobei gleichfalls wider die Scheidung der Freigelassenen höherer und niederer Ordnung scharf im Auge zu behalten ist ; dass endlich neben der bisher besprochenen Terminologie anch noch andere Standesbezeichnnngen vorkommen, bezüglich deren erst fest- gestellt werden muss, welches ihre Geltung sei, und wie- ferne sie sich mit den beiden Classen der Freigelassenen irgendwie berühren. Es ist unter solchen Umständen schlechterdings unmöglich, einen streng systematischen Gang der Darstellung einzuhalten, und wird vielmehr nöthig, die Erörterung der einzelnen massgebenden Stellen lediglich in der Reihenfolge vorzunemen, vermöge welcher es am Sicher- sten gelingen zu wollen scheint, in die vielfach verworrene Materie Klarheit zu bringen. Am Schlüsse der Untersuch- nng wird es sodann erst möglich werden, durch geordnetes Zusammenfassen der gewonnenen Ergebnisse ebenmässige Anschaulichkeit bezüglich der ganzen Lehre zu erzielen.

Was zunächst d i e Wi r k u n g e n der Freilassung betrifft,

so unterscheiden die B[>L. und E{>L. die beiden Classen der

Freigelassenen sehr deutlich als verschiedene Stände. Beide

Rechtsbücher weisen zunächst den verschiedenen Ständen

[1878 I. Philos.-philol. bist. Cl. 1.] 3

34 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 9. Februar 1878.

ihre verschiedenen Begräbnissplätze auf dem Kirchhofe an, und zwar in ziemlich gleichförmiger Weise Nach den B{>L.^) soll der Kirchhof in 4 Abtheiluugen (fjörSungar) zerfallen, und sollen die Landherren ,,im Osten der Kirche, und süd- lich im Lande, unter der Dachtraufe," begraben werden, dann die höldar, unter welchen hier nur die freigeborenen Bauern verstanden werden können, mit ihren Kindern, jedoch so, dass auch die Landherrn „i böndalegu" zu begraben sind, wenn sie am Kirchhofe keinen Antheil haben ; dann folgen die leysingjar und ihre Kinder, und hierauf die frjälsgjafir mit den ihrigen, wogegen die Unfreien zunächst an der Kirchhofmauer zu liegen kommen. Begräbt man nun einen Unfreien „i frjälsgjafa legu'*, so hat man 6 aurar Busse zu geben; begräbt man einen frjälsgjafi ,,i leysmgja legu'\ so büsst man 12 Unzen; begräbt man einen leysingi „i hauldslegu", so büsst man 3 Mark. Auffällig ist dabei freilich, dass der Abtheilungen nur 4 sein sollen, während doch 5 Classen von Leuten in denselben untergebracht werden sollen. Man wird kaum , mit Estrup , annemen dürfen, dass die Unfreien an der äusseren Seite der Kirch- hofmauer, also ausserhalb des Kirchhofes, bestattet warden ; '^) ich möchte vielmehr eher dafür halten, dass den Landherrn, welche doch wohl nur ausnamsweise auf den gemeinen Kirchhof zu liegen kamen, da sie gewiss mehrentheils

1) B])L. L §. 9; II, §. 18; III, §. 13. Die Texte II und III ge- denken allerdings der frjälsgjafir und ihres Begräbnissplatzes zunächst nicht; da aber auch sie hinterher dem Bussen androhen, der einen Un- freien in der Abtheilung des frjälsgjafir, oder einen frjälsgjafi in der Abtheilung der leysingjar bestattet, ist klar, dass insoweit nur ein Schreib Verstoss vorliegt.

2) Estrup, S. 51. Gjessing, S. 290, Anm., bezeichnet diese Deutung als eine irrige, lässt aber ungesagt, wie er sich helfen will, da auch er die 4 Abtheilungen auf die lendirmenn, höldar, leysingjar und frjälsgjafir bezieht.

Maurer: Die Freigelassenen nach altnorwegischem Rechte. 35

Patronatskirchen mit eigenen Familienbegräbnissen besassen, und überdiess, wenn sie zur Zeit ihres Todes noch im activen Dienste standen , ihr Grab in der Domkirche ihres Bezirkes zu beanspruchen hatten, ^) nur ein bevorzugter Platz innerhalb der böndalega, nicht eine eigene Abtheilung eingeräumt war, und dürfte hiefür zumal auch der Umstand sprechen, dass demjenigen keine besondere Busse angedroht wird, der einen hold an dem den lendirmenn gehörigen Platze begräbt. Eine ganz analoge Bestimmung über die Vertheilung der Begräbnissstätten enthalten ferner die E{>L., nur dass in derselben von keiner für die Verletzung der Vorschriften zu entrichtenden Busse gesprochen wird ; ^) dass der zweite und jüngere Text dieses Rechtsbuches dabei die frjälsgjafir und ihre Kinder auslässt, mag ausdrücklich be- merkt werden. Weiterhin stufen die B|>L. auch das leg- kaup, d. h. die für die Grabstätte zu entrichtende Gebühr, in der Art ab,^j dass für die Leiche eines Landherrn, seiner Frau und seiner Söhne, soweit sie noch Standesgenossen ihres Vaters sind, 12 Ellen, für die Leiche eines höldborinn ma6r 6 Ellen, für die des leysingjasons 4 Ellen, für die des frjälsgjafi aber 1^2 Ellen zu entrichten sind, wogegen für die Leiche eines Unfreien nur ein gewogener Pfenning ent- richtet wird. Auch in dieser Richtung kennen die E|>L. wider eine entsprechende Vorschrift, *) deren Text zwar einiger- massen corrupt ist, aber doch die massgebenden Sätze noch deutlich erkennen lässt; der Ansatz für den höldr muss

1) Hird'skrä, §. 21. Vgl. das unächte Privileg K Magnus Erl- ingsson's, im Diplom. Island., I, nr. 39. S. 229, welches als Inter- pretation sbehelf immerhin gebraucht werden darf,

2) EfL., I, §. 50; II, §. 39.

3) BtL., I, §. 12; II, §. 20.

4) EJ)L., I, §. 48; II, §. 37. Der von Gjessing, S. 291, ver- suchten Deutung : üfrjäls =r frjälsgjafi , vermag ich mich nicht anzu- schliessen.

3*

36 Sitzung der philos.-philot. Classe vom 9. Fehruar ISTS.

durcli Correctur auf 6 Ellen gebracht werden, während er in Text I. deren 12, und in Text II. deren 7 beträgt, ^) und für: „üfrjälsan psening vegen. firi anauÖgan. annan" in Text I. ist zu lesen : „hälfa aSra aliii fyrir frjalsgjafa, paening vegin fyrir änauSgan mann'', während in Text II. einfach steht: „paening vegen firi anauSgan man", also der frjäls- gjafi völlig ausgefallen ist, und ist wohl ,,iifrjälsan" nur als Glossem zu ,,änau8gan mann" zu fassen, wogegen die vor- ausgehenden Worte ausgefallen zu sein scheinen. Weiter- hin setzen die Bf>L. die Busse wegen geschlechtlicher Kränk- ung der Frau des höldr , der Tochter des leysingi , der leysingja und der frjalsgjafa auf 6, 4, 8 und 1^/2 Mark fest,^) während sie beide Classen von Freigelassenen in Be- zug auf den Umfang, in welchem die blutige Rache wegen des mit einer Angehörigen begangenen Unzuchtsvergehens gestattet ist, einander gleich stellen, und nur von den Un- freien einerseits und den Freigeborenen andererseits unter- scheiden ; ^) die EJjL. dagegen enthalten keine einschlägige Bestimmung. Beachtenswerth ist, dass sowohl bei der Un- zuchtsbusse als beim Grabkaufe und bei der Busse wegen widerrechtlicher Bestattung das Verhältniss des frjälsgjafi zum leysingi und zum höldr ganz gleichraässig das von 1:2:4 ist, und beachtenswerth auch, dass die Kinder des leysingi in Bezug auf das Begräbniss diesem selbst gleich- gestellt, dagegen in Bezug auf den Grabkauf und die Un- zuchtsbusse mit einem eigenen Ansätze zwischen ihn und den Freigeborenen hineingeschoben sind.

In den G|>L. und FrI>L. dagegen wird hinsichtlich des Begräbnisses auf den Unterschied der Stände überhaupt keine Rücksicht genommen, und auch bezüglich des Grab-

1) Aus VI. wurde also dort XII, hier VIT.

2) BPL.. II, §. 14.

3) ebenda, §. 15.

Maurer: Die Freigelassenen nach altnorwegischem Hechte. 37

kaufes legen ihm die G{>L., deren ältere Redaction diese Gebühr noch kennt, ^) während sie aus den Fr{>L. völlig ver- schwunden ist, keine Bedeutung bei, ganz wie das isländische Recht die Regel aufstellt : „leg skulu öU vera jafndyr, hvort sem eru nserr kirkju eSa firr i kirkjugarSi" ; *) in anderen Richtungen dagegen betonen auch jene beiden Rechtsbücher die Verschiedenheit jener beiden Classen von Freigelassenen sehr entschieden. Die G{>L. zunächst gewähren dem Frei- gelassenen geringerer Ordnung noch kein freies Verfügungs- recht über sein Vermögen, lassen ihn vielmehr nur bis zum Betrage eines örtugr disponiren ; ^) sie gestatten ihm ferner auch nicht das Recht der freien Verehelich ung, lassen viel- mehr nur die mit Zustimmung seines Freilassers von ihm eingegangene Ehe diesem letzteren gegenüber ihre volle Wir- kung äussern, *) so dass der Freigelassene sein Freilassungs- bier halten muss, wenn er „räSa kaupum sinum ok kvän- fÖngum'' will ; ^) endlich steht ihm auch nur innerhalb des Volklaudes, welchem er angehört, die freie Wahl seines Aufenthaltes zu, und kann ihn der Freilasser heimfordern, wenn er dessen Grenze ohne seine Erlaubniss überschreitet, ^) sodass der Ausdruck ,,skira far sitt", sich die Fahrt klären, geradezu für die Haltung des Freilassungsbieres gebraucht werden kann. ^) Ueberdies fehlt den Kindern der Freige-

1) G5L., §. 23.

2) Kgsbk. §. 2, S. 9; älterer KrR, cap. 5, S. 28.

3) G5L., §. 56.

4) ebenda, §. 63.

5) ebenda, §. 61 und 62.

6) ebenda, §. 61 und 67.

7) ebenda, §. 66. Gj es sing hat bereits, S. 269, den Aus- druck richtig in obiger Weise erklärt; nur hätte er sich dabei nicht auf die Worte: ,ef bann fser sik eigi skirt", in den Fr iL., IX, §. 10 berufen sollen. Diese beziehen sich vielmehr auf das erfolgreiche Be- stehen der ski'rsla, d. h. des Gottesurtheiles,

38 Sitzung der philos.'philol. Classe vom 9. Februar 1878.

lassenen geringerer Ordnung das Erbrecht, ^) und dass sie selbst noch zum Hause ihres Freilassers gezählt werden, ergiebt sich daraus, dass dieser sie bei der Mannzahl anzu- sagen, und für sie in zweiter Linie einzustehen hat, wenn auch der Mann zunächst aus eigenen Mitteln die Heerlast be- streiten soll. ^) Ausserdem wird bei Besprechung der Werth- grenzen, welche den Verfügungen der Weiber aus den ver- schiedenen Volksclassen gezogen sind, nur der Frau des Freigelassenen gedacht, welcher sein Freilassungsbier ge- halten hat,^) was sich doch wohl daraus erklärt, dass die Frau des Freigelassenen geringerer Ordnung, dessen eigene Disposition sbefugniss schon so sehr beschränkt war, über- haupt keine solche besass. Auffällig ist aber, dass bei der Abstufung der zu beziehenden oder zu entrichtenden Bussen zwischen den beiden Classen der Freigelassenen nicht unter- schieden wird, so scharf sich sonst gerade in diesem Punkte die Verschiedenheit der Stände auszuprägen pflegt. Da in Fällen einer zu empfangenden Busse der leysingi stets halb so hoch als der vollfreie Mann angesetzt wird, während der leysingjasonr mit einer unorganischen Ziffer zwischen beide eingeschoben erscheint,*) zeigt die Vergleichung der B|)L. und E{)L., dass der Bussbetrag der höheren, und nicht der der geringeren Freigelassenenclasse dabei massgebend ge- worden ist; bei zu zahlenden Bussen freilich war das Ver- hältniss das von 1:2:3,^) indem das Bestreben, die baugar zu runden, den Sieg davongetragen zu haben scheint, und bei den Werthgrenzen für die Dispositionsbefugnisse der

1) G5L., §. 65; vgl. §. 25, 63 und 106. Die litla erf* des §. 65 und 114 gehört nicht hieher, da sie auf Miteigenthum zu gesaramter Hand leruht.

2) ebenda, §. 296.

3) ebenda, §. 56.

4) ebenda, §. 91, 198 und 200. 5: ebenda, § 185,

Maurer: Die Freigelassenen nach altnorwegüchem Rechte. 39

Weiber galt das Verhältniss von 2:3:6,*) wobei auch wider die Abrundung der Werthgrenzen massgebend gewor- den sein dürfte. Wenn aber bei der Bestimmung der Werth- grenzen, innerhalb deren uneheliche Kinder mit Vergabungen bedacht werden durften, unter dem lendrmaSr, hauld- nia^r und böndi nur noch der leysingssunr , nicht aber der leysingi selbst erwähnt wird,^) so muss dabei eine Coruptel im Texte vorliegen ; die augegebenen Beträge von 6 Mark, 3 Mark, 12 Unzen und 6 Unzen zeigen die normale Ab- stufung von 1:2:4:8, und muss somit bei dem leysing- jasunr die (unorganische) Ziffer, und vor „6 aura" der leys- ingi selbst ausgefalleu sein. Minder deutlich und z. Th. sogar entschieden abweichend sprechen sich die Fr{)L. aus. Während sie an einer einzelnen Stelle nur das für die Ab- stufung der Busssätze der vervschiedenen Stände geltende Zahlenverhältniss (2:3) angeben, ohne dabei die für die ein- zelnen Stände sich berechnenden Ansätze speciell zn nennen,^) sehen sie an einer längeren Reihe von Stellen bei der Be- stimmung der Bussen von jeder Scheidung zweier Classen von Freigelassenen ganz ab;*) an einer, von den Verbal- injurien handelnden Stelle aber, welche auch in das Stadt- recht übergegangen ist, unterscheiden sie zwischen beiden Classen,^) und wenn wider eine andere Stelle des Stadtrechtes zwar bezüglich der ünzuchtsbussen nur einen einfachen Bussbetrag angiebt,®) so deutet doch der Umstand, dass da- bei die frjälsgefa neben der leysingja genannt wird, darauf hin, dass in älteren Texten für beide verschiedene Bussen eingesetzt gewesen sein dürften. Eine letzte Stelle des

1) ebenda, §. 56.

2) ebenda, §. 129.

3) FrjL., X, §. 34; BjarkR., III, §. 161.

4) Fr])L., IV, §. 49 und 53; X, §. 41 und 46; XIII, §. 15.

5) Fr5L., X, §. 35; BjarkR., III, §. 162.

6) BjarkR., III, §. 127.

40 Sitzung der philo.s -pJiilol. Classe vom 9. Februar 1878.

Stadtrechtes endlich erkennt allen Leuten in der Stadt vom Landherrn herab bis zu dem Freigelassenen, der sein Frei- lassungsbier gehalten hat, ganz gleichmässig eine Busse von 3 Mark zu, dagegen dem Freigelassenen, welcher dieses Bier noch nicht gehalten hat, nur eine Busse von 6 Unzen, *) und sie tritt damit allerdings mit mehrfachen anderen Stellen in bestimmten Widerspruch ; an der entschiedenen Sonderung der beiden Classen von Freigelassenen aber hält auch sie immerhin fest. Aus der Höhe der Busssätze lässt sich für dieses Rechtsbuch kein gesicherter Schluss ziehen, da das Verhältniss von 2:3, v^elches widerholt als massgebend für deren Abstufung bezeichnet wird,^) sich thatsächlich nicht consequent eingehalten zeigt, wahrscheinlich weil die Ein- schiebuug mehrfacher Zwischenstufen in die ältere Reihe der Stände (reksl)egn und leysingjasonr) dasselbe undurchführ- bar gemacht hatte, falls man nicht auf absolut unpraktische Bruch theile kommen wollte. Weiterhin wird uns aber aus- drücklich gesagt,^) dass der Sohn, welchen ein Freigelassener mit einem freigeborenen Weibe, welches er nach erfolgter Freilassung geheirathet hatte, noch vor der Abhaltung seines Freilassungsbieres gewinnt, Niemandes Erbe zu nemen be- rechtigt sei, und nur dieselbe Busse beziehe wie sein Vater, während sonst die Söhne von Freigelassenen (höherer Ord- nung) eine höhere Busse erhalten; wenn aber ein solcher Mann als „borinn skauta ä meÖal" bezeichnet wird, so wollen damit doch wohl die beiden für die Freilassung in Betracht kommenden Acte als die beiden Zipfel des ganzen Vorganges betrachtet werden, zwischen denen das Kind zur Welt ge- kommen ist. Mit diesem Ausspruche stimmt aber überein, wenn anderwärts gesagt wird, dass nur der Freigelassene

1) ebenda, II, §. 47; III, §. 97.

2) FrI.L, IV, §. 49; X, §. 34.

3) ebenda, IX. §. 15.

Maurer: Die Freigelassenen nach altnorwegischem Rechte. 41

seine Kinder beerbe, welcher sein Freilassungsbier gehalten habe,*) oder dass derjenige von seinem Freilasser beerbt werde, welcher dasselbe noch nicht gehalten habe. ^) Auch in Bezug auf seine Freizügigkeit scheint der Freigelassene beschränkt gewesen zu sein, solange er sein Freilassungsbier noch nicht gehalten hatte, ^) und nicht minder in Bezug auf seine vermögensrechtlichen Verfügungen, obwohl allerdings die einzige Stelle, welche sich hierüber ausspricht,*) nicht deutlich zu erkennen giebt, auf welche Classe von Freige- lassenen sie bezogen werden wolle. Er unterliegt endlich auch einem S chutzrcchte seines Freilassers , welches als „vorn**, d. h. Vertheidigung bezeichnet wird,^) dessen Aus- dehnung jedoch nicht klar ist.

Als eine weitere Art von Verpflichtungen, welche dem Freigelassenen obliegen , siad aber auch die ^jpfjrmslir'''' zu bezeichnen, bezüglich deren freilich erst noch zu untersuchen ist, ob sie beiden Classen vou Freigelassenen oder nur der einen von ihnen obliegen. Das Zeitwort tyrnia, von wel- chem sich das Hauptwort {)yrmsl,^) welches übrigens fast nur in der Pluralform ^yrmslir , fjyrmslur vorkommt , ab- leitet, bedeutet schonen, schonend und achtungsvoll behandeln, und bezeichnet somit das Hauptwort ein Verhältniss, welches, gleichviel aus welchen Gründen , eine gewisse Rücksicht- name oder Enthaltsamkeit fordert. In rein körperlichem Sinne spricht z. B. der Königs spiegel von einem „vera 1 |jyrmslum eptir bloÖlat"^) als von dem Zustande der Scho- nungsbedürftigkeit, in welchem man sich nach einem Ader-

1) ebenda, §. 11.

2) ebenda, §. 13.

3) ebenda, §. 10.

4) e b e n d a , XI, §. 23.

5) ebenda, IX, §. 10.

6) Die Singularform steht in der Ueberschrift des §. 11, ebenda.

7) Konüngssk.; §. 57, S. 140.

42 Sitzung der pkilos.-philol. Classe vom 9. Februar 1878.

lasse ?;u befinden pflegt ; in figürlichem Sinne dagegen ge- braucht dieselbe Quelle den Ausdruck „{»yrnia lögum", *) die ältere Edda ,,l>3U'ma eiÖiim",^) und ein isländisches Rechtsbuch „{)yrma griSum^'^) für die ehrfurchtsvolle Beobachtung des Gesetzes, Eides, Friedensgelöbnisses. Schon in einem der heidnischen Zeit angehörigen Liede wird der Ausdruck „{)yrma veum'*, die Heiligthümer achten, gebraucht;*) die jüngeren Christenrechte aber brauchen den Ausdruck ,,l)yrma kirkjum ok kirkjugörSum" für die Achtung des kirchlichen Asylrechtes, ^; den Ausdruck ,,{)yrma retti heilagrar kirkju ok IserÖra manna" in Bezug auf die der Kirche und ihren Dienern geschuldete Ehrfurcht®), und den Ausdruck „mis{)yrma klerk eÖa klaustrmanni", ,,mis{)yrma kirkjunnar goSs" für die Mishandlung geistlicher Personen und widerrechtliche Ein- griffe in das Kirchengut, wie denn auch der Begriff des sacri- legium durch „mis{>ynnsl vigSs lutar" widergegeben wird.'^) In dem Erlasse über die Bannfälle, welcher au der Spitze des sog. Christenrechtes K. Sverrir's steht, spricht dieser König sammt seinem Episkopate von „[)yrnislir pißr er menn eiga gu6i at veita ok oss",*) und versteht darunter die Gott und dem König geschuldete Ehrfurcht; die älteren Christen- rechte aber gebrauchen bereits Ausdrücke wie ,,I)yrma dögum", „{»yrmajölahelgi", ,,{)yrma frjädögum ok kristnum dorai värom'' von der kirchlich gebotenen Beobachtung der Feste und Fasten,^) und andererseits wider Ausdrücke wie ,,vera i

1) ebenda, §. 36, S. 78.

2) Gripisspä, 47; Sigurd'arkv. III, 28.

3) Kgsbk., §. 114, S. 205; Vigslö^i, cap. 112, S. 166.

4) Häkonar ni äl, 18.

5) neuerer BjKrR., §. 7; neuerer GfKrR.. §. 15; Jons Krß.,

§. 12; Arna bps KrR, §. 6 und 8.

6) Arna bps KvR., §. 7.

7) ebenda; Jons KrR., §. 54.

8) Sverris KrR., §. 1.

9) GtL., §. 17 und 20; FrJL, II, § 34.

Maurer: Die Freigelassenen nach altnorwegischem Rechte. 43

l>yrmsliim viS konu",') „l>yrmast vi6 guSsifjar*' ,,{>yrma vi6 konu**2) von der Achtung der kirchlichen Verbote bezüg- lich des Umganges mit Weibern innerhalb gewisser Grade der Verwandtschaft, Schwägerschaft und Gevatterschaft, wie denn auch der Köuigsspiegel in diesem Sinne sagt: ,,tynir hverr fraendsemi viÖ annau , ok gjörisk sifjaspell, ok J)yrma menn engum leytum'',') wogegen „f)yrma sifjum" in der älteren Edda in etwas anderer Bedeutung, nämlich für die Bewahrung der schwägerlichen Treue gebraucht steht.*) lu änlicheni Sinne braucht ferner ein älteres Christenrecht den Ausdruck: ,,[>yrmaz vid hjunskap" für die Enthaltung vom ehelichen Zusammenleben,'^) und sagt ein altes Homilienbuch von denen, die sich unnatürlicher Sünden schuldig machen: „l>eir es eige {)yrma körlom heldr en konom et>a mis{>yrma kyc- qvendom ferfeöttom'^^) Insbesondere wird der Ausdruck auch für die Verpflichtungen gebraucht, welche ein Verhältniss der Abhängigkeit und Dienstbarkeit einem Untergebenen seinem Herrn sowohl als seinen Genossen gegenüber aufer- legt. In diesem Sinne sagt z. B. das Dienstmannenrecht,^) dass die gestir innerhalb ihres Verbandes alle diejenigen ,,l>yrmslur" zu beobachten haben, welche den hirSmenn inner- halb des ihrigen obliegen, wobei es die Verpflichtung, sich bei der gestastefna einzufinden, bei Tisch die gehörige Zucht zu beobachten, und die Leiche verstorbener Genossen zu Grabe zu geleiten, als dahin gehörig bezeichnet; in diesem Sinne wird der Ausdruck aber auch auf die Verpflichtungen angewandt, welche dem Freigelassenen gegenüber seinem

1) GtL., §. 24.

2) ebenda, §. 26.

3) Konüngssk., §. 36, S. 76.

4) Sigurd-arkv. III, 28.

5) El)L., I, § 4.

6) Homiliubok, S. 137 (ed. Wisen).

7) Hir^-skrä, §. 45.

44 Sitzung der pliilos.-philol. Classe vom 9. Februar 1878.

Freilasser obliegen. Es äussern sich aber die Gl>L. an einer für die {)yrmslir in diesem Sinne classischen Stelle folgender- massen: *) „Der Freigelassene soll {)yrmslir beobachten gegen seinen Herrn. Er soll sich nicht betheiligen an Anschlägen gegen dessen Vermögen noch gegen dessen Leben; auch nicht im Gerichte ihm entgegentreten, er habe denn eine eigene Rechtssache zn vertheidigen , die soll er ebensogut gegen ihn vertheidigen wie gegen andere Leute ; auch nicht in Worten sich mit ihm messen, und nicht Schwerdt noch Speer gegen ihn zücken, und nicht in seiner Feinde Schaar stehen, und nicht Zeugniss wider ihn geben, und nicht in den Dienst übermächtiger Männer treten, er habe denn seine Erlaubniss dazu, noch auch ein fremdes Gericht ihm gegen- über besetzen. Thut er eines dieser Dinge, so soll er auf den alten Sitz zurückkehren, auf welchem er früher gesessen war, und mit Geldeswerth sich von demselben lösen; auch hat er sein Vermögen verwirkt. Zwei sollen diese Oblie- genheiten erfüllen, Vater und Sohn, gegen Zwei auf der anderen Seite ; lässt sich aber der Sohn eines Freigelassenen einen solchen Verstoss zu Schulden kommen, so verwirkt er dadurch seinem Herrn gegenüber ebensoviel Geldwerth, als sein Vater bezahlt hat." Es sind also wirklich wesent- lich Verpflichtungen der Treue und der Ehrerbietung, welche unter den {)yrmslir verstanden werden, und wir haben keinen Grund, dem Worte in den Frl>L. eine andere Bedeutung beizulegen , obwohl diese keine entsprechende Erklärung über dessen Sinn enthalten; fraglich erscheint dagegen, auf welche Classe von Freigelassenen die {)yrmslir zu beziehen sind, ob auf diejenigen, welche ihr Preilassungsbier noch nicht gehalten haben, wie diess Gjessing annimmt,^) oder auch auf diejenigen, welche dasselbe gehalten haben, wie diess

1) GJ)L, %. QQ.

2) Gjessing, S. 278.

Maurer: Die Freigelassenen nach altnorwegischem Rechte. 45

Eriksen und Fr. Brandt, R. Keyser und P. A. Munch be- haupten.^) Die Frage ist um so wichtiger, als von deren Beantwortung, direct oder indirect, sowohl unsere Auffass- ung des zwischen beiden Classen von Freigelassenen bestehen- den Unterschiedes, als auch unser Verständniss einer Reihe einzelner Quellenstellen sehr wesentlich bedingt wird. Die Beschaffenheit der Quellen uöthigt mich aber, ehe ich zu ihrer Erledigung übergehe, erst noch ein paar andere, auf den Uebertritt aus der nideren Classe in die höhere bezüg- liche Punkte klarzustellen, da ausserdem eine Beweisführung in der ersteren Richtung kaum verständlich zu machen wäre. Die G^L stellen es der Regel nach ganz dem Gutdünken des Freigelassenen selbst anheim, ob und wann er sein Freilassungsbier halten wolle; ^) nur bezüglich des Sklaven, der sich selbst freikauft, schreiben sie vor, dass er noch ein volles Jahr für seinen Freilasser arbeiten müsse, ^) und wird diesem somit doch w^ohl auch die Haltung des Freilassungsbieres insolange versagt gewesen sein. Solange noch mindestens die Hälfte seines Werthes unbezahlt war, durfte der Herr sogar trotz der erfolgten Freilassung deu Rest mit Schlägen eintreiben , ohne dadurch ein Ge wette an den König zu verwirken, was wir doch wohl dahin zu verstehen haben, dass der Freigelassene solchenfalls von Rechts- wegen als für den ausständigen Theil seiner Loskaufssumme in Schuld haft genommen galt, während es bei einem geringeren Betrage des Rückstandes eines besonderen Vorbehaltes des Freilassers bedurfte, um ihn der Schuldhaft für denselben zu unterwerfen.^) Auch die Fr[>L. kennen äuliche Bestim-

1) Eriksen, S. 56; Fr. Brandt, S. 204—5; R. Keyser, S. 293; Munch, II, S. 964—65.

2) G])L., §. 62.

3) ebenda. §. 61.

4) vgl meine Abhandlung : Die Schuld knechtschaft nach altnordi- schem Rechte, S. 7—8.

46 Sitzung der phüos.-philoL Classe vom 9. Februar 1S78.

mungen. Darauf ist zunächst kein Wertb zu legen, dass sie den Freigelassenen, der sein Freilassungsbier halten will, anweisen, sich die Erlaubniss dazu von seinem Frei- lasser zu erbitten ; ^) der Verlauf der Stelle zeigt nämlich, dass der Act auch in dem Falle rechtsgültig vor sich gehen konnte, da der Herr die erbetene Erlaubniss versagte, und die Bitte war somit nur eine zu Ehren des Herrn ange- ordnete Förmlichkeit ohne ernstliche Bedeutung. Dagegen ist zu beachten , dass dem Freigelassenen , welcher sich als selbstständiger Landwirth setzen will , die Haltung seines Bieres schlechthin geboten werden zu wollen scheint,^) was sich auch recht wohl erklärt, da die selbstständige Bewirth- schaftung eines Hofes kaum mit den Beschränkungen ver- einbar war, denen der Freigelassene geringerer Ordnung in Bezug auf seine Freizügigkeit, seine vermögensrechtlichen Verfügungen, u, dgl. unterlag; wenn dem gegenüber eine andere Stelle die Landleihe in beschränkterem Umfange auch diesem letzteren zugänglich sein lässt,^) ist dabei doch wohl nur an ganz kleine Gutsparcellen zu denken. Nicht zu übersehen ist ferner, dass dem Unfreien, der sich selber loskauft, nicht einmal die Freiheit gegeben werden soll, ehe er wenigstens seinen halben Preis erlegt hat, und dass im Falle der Verletzung dieser Vorschrift der Freigelassene zwar seinem Freilasser, aber nicht Andern gegenüber bussberechtigt ist. *) Insoweit sind also die Fr{)L. noch strenger als die G{>L.

So gross übrigens der Abstand zwischen beiden Classen von Freigelassenen ist, so gilt doch die Haltung des Frei- lassungsbieres nicht unter allen Umständen als

1) FrUj , IX, §. 12. In dem Satze: „nü vill skapdrottinn hans leyfa honoin" ist augenscheinlich das „eigi" ausgefallen.

2) ebenda; auch BjaikR., HI, §. 166.

3) PrJ.L., XI, §. 2 J.

4) Ebenda, IV, §. 55.

Maurer: Die Freigelassenen nach altnonvegisehem Rechte. 47

erforderlich, um den Einzelnen aus der geringeren Classe in die höhere aufsteigen zu lassen, und die in den Rechts- büchern vorgesehenen Ausnahmsfälle sind für das Verständ- niss der ganzen Lehre nicht ohne Bedeutung. Als un not big bezeichnen aber zunächst die G[>L das Freilassungsbier in dem Falle, da Jemand „fellr frjäls ä jörS".^) Es kann dar- unter, zumal wenn man die änliche Ausdriicksweise eines isländischen Rechtsbuches vergleicht,^) nur der Fall verstan- den werden, da die betreffende Person zwar mit einer un- freien Mutter erzeugt, aber vermöge einer inzwischen er- folgten Freilassung dieser letzteren doch immerhin frei ge- boren wurde, denn an den Sohn eines Freigelasseneu, auf welchen der Ausdruck auch passen würde, darf nach dem Zusammenhange der Stelle doch wohl kaum gedacht werden, sofern diese im Uebrigen nur vom Freigelassenen selbst spricht. An diesen Fall reiht sich sodann der andere an, da ein unfrei Geborener freigelassen wurde, ehe er noch 3 Jahre alt war, und sofort als frei auferzogen wurde, ohne dass eine Schuld auf ihn gelegt worden wäre.^) Die Ver- gleichung zweier anderer Stellen des Rechtsbuches zeigt,**) dass dabei an den {»yborinn sonr zu denken ist, d. h. an den Sohn , welchen ein freier Mann mit einem unfreien Weibe gewinnt, und welcher sodann schon in frühester Ju- gend von seinem Vater oder den Verwandten seines Vaters als solcher anerkannt und freigelassen wurde. Die beiden bisher besprochenen Fälle haben Das unter sich gemein, dass bei ihnen die Beziehungen des unfrei Erzeugten zu einer freien Verwandtschaft, und dessen liberale Erziehung von seiner frühesten Jugend auf in Anschlag gebracht wer- den ; dagegen muss von einem ganz anderen Gesichtspankte

1) G1>L., §. 61.

2) Kgsbk, §. 229, S. 165: ok felli haiin änau^-igr ä jörd*.

3) Gt-L., § 6!.

4) ebenda, §. 57, S. 31 und §. 104.

48 Sitzmi'j der pliilob.-philoL Chisse vom 9. Februar 187 S.

aus die weitere Vorsclirift erklärt werden, dass auch der- jenige Mann kein Freilasssungsbier zu halten braucht, welchem der König die Freiheit schenkt.*) Mag sein, dass die Art. wie der Freilasser bei dem Freilassungsbiere mitzuwirken hat, für den König nicht recht passend erschien ; zumal aber mochte der Gedanke massgebend geworden sein, dass die vom König geschenkte Freiheit gleich von Anfang an als voll und allseitig wirksam betrachtet werden müsse, und stellt sich diese Vorschrift insoweit der andern an die Seite, das« alle vom König gegebenen Gaben unanfechtbar sein sollen,'^) und dass vom König als „heiÖfe*' oder ,,drekkulaun'' ge- gebenes Land die Stammgutseigenschaft an sich tragen soll.^) Wir werden übrigens wohl annemen dürfen , obwohl diess nirgends ausdrücklich gesagt wird, dass die gleiche Bestim- mung auch auf die vom Dingverbande oder von den ein- zelnen Volkslanden Freigelassenen Anwendung gefunden haben werde, denn einerseits wäre kaum abgesehen, wer ihnen gegenüber die Rolle des Freilassers hätte übernemen sollen, andererseits wird uns ausdrücklich gesagt, dass für sie keine Heerlast zu tragen sei,*) was doch wohl auch das Nichtvorhandensein eines Freilassen^ voraussetzt ; die 6 aurar^ welche die Dinggemeinde zum Behufe der Freilassung beizu- steuern hat , während im üebrigen die Beschaffung des Freizulassenden der Reihe nach den einzelnen Volkslanden obliegt, dürfen demnach nicht, wie Gjessing will,'^j als leys- ingsaurar aufgefasst werden, sondern lediglich als ein Bei- trag zum Ankauf-tpreise des Sklaven, wobei auf die Bestim- mung seiner Höhe allenfalls der Umstand eingewirkt haben mochte, dass 12 aurar in der altern Zeit als der Durch-

1) GJ)L., §. 61.

2) ebenda, §. 129.

3) ebenda, §. 270.

4) ebenda, §. 298.

5) Gjessing, S. 198 und 267,

Maurer: Die Freigelassenen nach altnorwegischem Hechte. 49

scliuittspreis eines Sklaven (f)rselsgjöld) galten.^) Endlich, soll aber auch der Freigelassene sein Bier zu halten nicht nöthig haben, welchem sein Herr die Freiheit ,,skattalaust ok skulda'' gegeben hat ; ^) dabei wird man aber nicht nothwendig, wie wohl geschehen ist,^) an eine unentgeldliche Freilassung zu denken haben , sondern an jede Freilassung denken dürfen, bei welcher der Freilasser , möge sie nun gegen Entgeld oder unentgeltlich erfolgt sein , für die Zukunft auf jede Abgabe und Dienstpflicht verzichtet hat, so dass also auch der Loskauf eines Sklaven um seinen vollen Werth unter den Begriff fällt, soferne nur Zug um Zug mit der Frei- lassung der gesammte Preis baar bezahlt wurde Entscheidend für diese Auslegung scheint mir, neben einer gleich nachher zu besprechenden analogen Satzung der Fr{>L., dass der Ver- zicht auf jede künftige Leistung insbesondere auch einen, unwiderruflichen/) Verzicht auf die leysingsaurar enthält, dessen Ablegung die Haltung des Freilassungsbieres denn doch gegenstandslos machen musste. üebrigens wird von demjenigen , welchem die Freiheit ohne Vorbehalt irgend- welcher Leistung gegeben wurde, gesagt, dass er zwar seine volle Freiheit in Bezug auf Verehelichung und Vermögens- dispositionen erlange, aber doch den {)yrmslir seinem Frei- lasser gegenüber unterworfen bleibe; da erst hinterher von dem Freigelassenen des Königs und von dem in frühester Jugend freigelassenen J>/borinn sonr gesprochen wird, und zwar ohne solchen Beisatz, wird man anzunemen haben, dass bei diesen beiden Kategorien von Leuten auch die {)yrmslir wegfielen. Wirklich sagen von dem I>yborinn sonr die Frl)L. ausdrücklich:^) „hann skal vi8 engan mann t)yrmaz'^, und

1) vgl. Gj es sing, S. 123—25.

2) G5L., §. 61.

3) vgl. Gjessing, S. 263.

4) Gt.L., §. 129.

5) FrjL., X, §. 47.

[1878 I. Philos.-philol. bist. Cl. 1.]

50 Sitzung der phüos.-pMloL Classe vom 9. Februar 1878.

überdiess würde, da sich bei ihm die Freilassung ohne Vor- behalt irgendwelcher Dienste und Abgaben von selbst ver- stand, sein Fall an unserer Stelle unmöglich neben dem des „skattalaust ok skulda'' Freigelassenen gesondert aufgeführt sein können , wenn nicht seinen eigenthümlichen Voraus- setzungen auch eigenthümliche Wirkungen entsprochen hätten; endlich erklärt sich auch vollkommen befriedigend , dass beim Freigelassenen des Königs die allgemeine Unterthanen- pflicht, und beim t)yborinn sour die Ver wandten pflicht kräftig genug war, um jeden Gedanken an die {)yrmslir zurückzu- drängen. Auffällig ist dagegen, dass der, ,,er frjäls fellr ä jörÖ", mit dem ohne Vorbehalt Freigelassenen, und nicht mit dem l)yborinn sonr zusammengestellt wird ; indessen ist doch aus dem Zusammenhange der Stelle ersichtlich, dass die auf ihn bezüglichen Worte ein späteres Einschiebsel sind, sodass die doppelte Möglichkeit besteht, dass dieselben an den unrechten Ort zu stehen gekommen wären, oder dass wenigstens bei ihrer Einschiebung nur an die Worte: „{)ä {)arf eigi at gera frelsisöl sitt", welchen sie zunächst folgen, aber nicht an die weiter abstehenden Worte: ^6 skal bann vera i I>yrmslum viS skapdrottin sinn" gedacht worden sei, und im einen wie im anderen Falle würde sich annemen lassen, dass auch dieser Kategorie von Leuten die Befreiung von den f)yrmslir zu Theil wurde. Wenn aber nach dem eben Be- merkten in den Fällen, in welchen der Eintritt eines Frei- gelassenen in die höhere Classe von Rechtswegen und ohne Haltung seines Freilassungsbieres sich vollzieht, das Mass der Wirkungen dieses Eintrittes ein- verschiedenes ist, so kann überdiess auch in jenen anderen Fällen, in welchen der Uebertritt aus der niederen in die höhere Classe durch einen Privatact vermittelt wird, eine änliche Verschiedenheit in Bezug auf die dem Freigelassenen erwachsenden Rechte vorkommen. Die Gl)L. sprechen nämlich den Satz aus : „kaupa leysingi arf börnum sinum, ef I>eir ver5a sättir ä,

Maurer: Die Freigelassenen nach altnorwegischem Rechte. 51

{>ä er {)at jamnfullt, sem bann hafSi skirt far sitt", *) und da der letztere Ausdruck, wie oben schon bemerkt wurde, ^) doch nur auf die Haltung des Freilassungsbieres bezogen werden kann , gestatten sie damit , dass durch besonderen Vertrag der Eintritt einer einzelnen unter den mehrfachen Wirkungen ausbedungen werden möge, welche sich sonst an die Vorname jenes Actes zu knüpfen pflegen, während dessen übrige Wirkungen von dem Vertrage unberührt bleiben. Weniger klar sprechen sich die Fr{)L. über die Ausnams- fälle aus, in welchen die Haltung des Freilassungsbieres überflüssig erscheint ; doch kennen auch sie immerhin einige solche. Einmal nämlich sagen sie, wie oben schon bemerkt, von dem {)^borinn sonr, der in frühester Jugend freigelassen wurde, dass er Niemanden gegenüber den {)yrmslir unter- liegen solle; ^) wenn dabei dieser Satz in verschiedener Wort- fassung zweimal hinter einander widerholt wird, erklärt sich diess doch wohl aus einer gleichzeitigen Benützung zweier verschiedener Bearbeitungen des Rechtsbuches , wie ähnliches öfter vorkommt. Weiterhin wird aber von dem Manne, der eigens zum Zwecke seiner Freilassung gekauft wurde, ebenfalls wider gesagt : ,,skal maSr vi6 engan mann {»yrrnaz";"^) in diesem letzteren Falle wird ausdrücklich bei- gefügt, dass das Erbrecht und die Alimentationspflicht des Freilassers dem Freigelassenen gegenüber bestehen bleibe, solange dieser sein Freilassungsbier nicht gehalten habe, wogegen für den ersteren Fall die Analogie der Gl>L. wahr- scheinlich macht, dass mit den {)yrmslir auch alle anderen Zurücksetzungen weggefallen sein werden, deren Beseitigung sich sonst an die Haltung des Freilassungsbieres knüpfte. Vom Freigelassenen des Königs und von dem, der frei ge-

1) GJ)L., §. 66.

2) siehe oben S. 37.

3) Fr5L., X, §. 47.

4) ebenda, IX, §. 13.

52 Sitzung der phüos.'philol. Classe vom 9. Februar 1878.

boren, aber unfrei erzeugt ist, endlich von dem ohne Vor- behalt von Diensten und Abgaben Freigelassenen sprechen die Fr{>L. nicht; doch wird man aus diesem ihrem Schweigen kaum Schlüsse ziehen dürfen, da ja eine änliche Behandlung dieser Leute wie die in den G{)L. vorgesehene recht wohl stillschweigend vorausgesetzt werden mochte. Um so häu- figer erwähnt dagegen dieses Rechtsbuch des Abkaufens der Folgen, welche sich an die unvollständige Freilassung knüpfen, und des besonderen Vertrages, welcher solchenfalls als Sur- rogat für die Haltung des Freilassungsbieres eintritt, und gerade seine dessfallsigen Angaben haben für uns erhebliche Bedeutung. Für den Abschluss dieses Vertrages brauchen die Fr{»L. den Ausdruck : ,,kaupa {>ymrslur af ser ok van8er5", oder vom Standpunkte des Freilassers aus gesprochen: „selja t)yrmslur maS tryggSum" ; ^) sie besprechen den Fall : „at frelsisöl hans var gjört eSa mältryggt", und den Frei- gelassenen: „er frelsisöl sitt hefir gjört eSa keypt meS tryggSum", ^) oder umgekehrt die anderen Freigelassenen: „er eigi hafa keypt {>yrmslur af ser",^) und sie zeigen da- mit recht deutlich, dass das Abkaufen der {)yrmslir in der Regel als Ersatz für die Haltung des Freilassungsbieres bezüglich aller ihrer Wirkungen galt, womit natürlich nicht ausgeschlossen war, dass in einzelnen Fällen zwischen den verschiedenen Wirkungen, welche diese zu äussern pflegte, unterschieden, und nur ein Theil derselben vertragsweise verwirklicht werden mochte. Zu demselben Ergebnisse führen aber auch die Angaben über das Verfahren, welches bei einem Streite über das Patronatsverhältniss einzuhalten war. *) Behauptet der Kläger die „vorn", d. h. das Schutz- recht über den Beklagten zu haben, während dieser ihm

1) Frl)L., IX, §. 14.

2) ebenda, §. 10 und 11.

3) ebenda, XI, §. 23.

4) ebenda, IX, §. 10.

Maurer: Die Freigelassenen nach altnorwegischem Rechte. 53

dieses Recht bestreitet, so hat Jener zunächst den ersten Act der Freilassung zu erweisen, wogegen dieser sich dann nur noch durch den Beweis der Haltung seines Freilassungs- bieres, oder des Abschlusses eines diese ersetzenden Ver- trages vertheidigen kann; gelingt aber dem Beklagten ein solcher Gegenbeweis, so soll er auch sofort „ör {)yrmslum vi6 {)ann mann" sein. Der Kläger also hat die Entstehung des Patronatsverhältnisses durch die Freilassung, der Be- klagte aber, falls diese Beweisführung gelungen ist, dessen Beendigung durch das Freilassungsbier oder einen entspre- chenden Vertrag zu erweisen, und das Gelingen dieses letz- teren Beweises hat zur Folge, dass auch die ^yrmslir als erloschen gelten. Auch hier also wird ein anderweitiger Vertrag als vollgültiges Surrogat für die Haltung des Frei- lasvsungsbieres betrachtet. Es kann übrigens kaum einem Zweifel unterliegen, dass in dieser Zulassung eines ander- weitigen Vertrages anstatt dieses letzteren Formalactes eine spätere Neuerung zu erkennen sei, welche, indem sie die verschiedenen an diesen letzteren sich knüpfenden Wirkun- gen von einander zu trennen ermöglichte, nicht wenig zur Zerrüttung des älteren Systems der ,,leysingslög'' beitrug. Kehren wir nun nach dieser Abschweifung zu der oben aufgeworfenen, aber nicht beantworteten Frage zurück, welcher Classe der Freigelassenen die I>yrmslir oblagen, so lässt sich sofort für die Frl>L. mit aller Bestimmtheit fest- stellen, dass es lediglich die Freigelassenen geringerer Ord- nung waren, welche von denselben betroffen wurden. Nur unter dieser Voraussetzung erklärt sich nämlich, dass dieses Rechtsbuch das Abkaufen der {)yrmslir als ein Surrogat für die Haltung des Freilassungsbieres bezeichnen , oder von dem , der den Bewei? der Haltung dieses letzteren geführt hat, sagen kann, dass er „ör ^yrmslum" gegenüber seinem Freilasser sei; nur unter dieser Voraussetzung auch, dass unter Umständen sogar von einem Manne, der sein Frei-

54 Sitzung der phUos.-phüol. Classe vom 9. Februar 1878.

lassungsbier uoch nicht gehalten hat, gesagt werden kann, dass er „vi8 engan mann J)yrmaz'' soll. Aber auch für die Gl>L. scheint die Sache nicht anders zu stehen. Nur so begreift sich nämlich , dass von dem in seiner frühesten Jugend freigelassenen Sklavinnensohne die G{)L. sagen können, er brauche kein Freilassungsbier zu halten , während die Fr|)L. erklären, dass er ,,vi8 engan mann Pyrmaz" solle, oder dass es von dem ,,skattalaust ok skulda'* Freigelassenen heisst, er brauche zwar kein Freilassungsbier zu halten, um in Bezug auf Verehelichungsrecht und Vermögensdisposi- tionen völlig frei zu werden, solle aber dennoch (po) den I>yrm.slir unterworfen bleiben.

Sofort erhebt sich aber eine zweite Schwierigkeit. Eben jene von den I>yrmslir handelnde Stelle der G[)L., welche oben übersetzt wurde,*) legt solche nur dem Freigelassenen selbst und seinem Sohne auf; andererseits aber spricht eine weitere Stelle desselben Rechtsbuches dem Freilasser und seiner Nachkommenschaft an dem Nachlasse des Freigelas- senen und seiner Nachkommen ein Erbrecht zu , welches beiderseits bis zum neunten Grade reicht,^) und auch die Frl^L. sprechen von einem bis zum neunten Grade sich erstreckenden Erbrechte , während sie zugleich die I>yrmslir bis zum vierten Grade reichen lassen.^) Nach beiden Rechtsbüchern konnten also die {>yrraslir, wenigstens unter gewissen Voraussetzungen und innerhalb gewisser Grenzen, über die Person des Freigelassenen hinaus auf seine Nach- kommen sich vererben , während die ihnen gegenüber- stehenden Rechte des Freilassers in derselben Weise auf dessen Nachkommen übergiengen; nach beiden Rechtsbücheru blieben aber auch nach Beseitigung der |)yrmslir noch immer gewisse weitere Rechtsfolgen der Freilassung übrig,

1) G5L., §. 66; s. oben S. 44.

2) ebenda, §. 106.

3) Frl)L, IX, §. 11.

Maurer: Die Freigelassenen nach altnorwegischem Eechte. 55

welche sich im Hause des Freilassers sowohl als des Frei- gelassenen noch auf eine weitere Reihe von Generationen vererbten. Nach beiden Seiten hin sind die einschlägigen Quellenstellen so wichtig, und zugleich so schwer zu ver- stehen, dass sie einer genaueren Betrachtung schlechterdings bedürfen. Es wird aber zunächst in den GfL., nachdem das verwandtschaftliche Erbrecht bis zu den Nachgeschwister- kindern, herab unter 13 fortlaufenden Nummern besprochen worden war, mit den Worten fortgefahren ^) : „Her skyrir um leysings erfS. Nu er hin fjügrtända leysings erfS. hana skal taka til niunda knes. fyrr en undir konong gange. ]3egar leysings sun tekr efter faSur sinn, take hverr efter annan. Nu verSr {»ar aldauSa arfr i leysings kyni. ok er engi maör er {>ar er i erfSa tale vi8 hann. er andaSr er ör leysings kyninu. ^a skal hinn er ör skapdröttens kvisl er. taka til niunda knes fyrr en undir konong gange. p6 at se hinn ätte er andaÖr er frä leysingjanom.*' Die Stelle unterscheidet zunächst das Erbrecht auf Grund der Ver- wandtschaft von dem auf Grund der Freilassung, und setzt beiden wider den Anspruch des Königs auf die herrenlose Erbschaft entgegen; sie bestimmt ferner, dass dieser An- spruch des Königs erst dann zum Zuoje kommen solle, wf»nn im gegebenpii Falle keines jener beid<^n Erbrechte be- gründet sei. In gleicher Weise lä«!st die Stelle das ver- wandtschaftliche Erbrecht dem auf die Freilassuntr bpyriin- deten vorgehen, und somit dieses letztere erst dann Platz greifen, wenn die ganze Nachkominen«;chaft des Freigelas- senen ausgestorben ist; sie setzt aber für das Erbrecht dieser letzteren voraus, dass des Freigelassenen Sohn seines Vaters Erbe neme , d. h dass der Freigelassene selbst sein Freilassungsbiei- gehalten, oder doch durch anderweitigen Vertrag seinen Kindern das Erbrecht verschafft habe, und

1) G5L., § 106.

56 Sitzung der phüos.'philol. Classe vom 9. Februar 1878.

sie lässt somit den anderen Fall unbesprochen , da diess nicht geschehen war. Ist nun aber die ganze Nachkommen- schaft des Freigelassenen ausgestorben, so soll das Erbrecht auf Grund der Freilassung bis zum 9. Grade reichen, und zwar beiderseits, so dass also die Nachkommenschaft des Freilassers bis zum 9. Grade die Nachkommenschaft des Freigelassenen bis zu demselben Grade beerbt, und zwar wird dabei , wie die letzten Worte der Stelle zeigen , der Freigelassene selbst, und somit natürlich auch der Freilasser selbst mitgezählt, so dass beiderseits der 8. Nachkomme in gerade absteigender Linie der letzte Erbende, beziehungs- weise Beerbte ist. iEnlich , aber in mancher Beziehuug noch deutlicher, sprechen sich die Fr{>L aus , ^) und lauten deren Worte folgendermassen : „Um {jyrmsl ok erfSir leys- ingja. Leysingja sett ero 4. menn i pyrmslnm. en hinn 5. er ör l)öat eigi se keyptr. En leysingi er frelsisöl sitt hefir gjört eSa keypt me5 tryggSum. skal taka arf sunar sins ok döttor ok leysingja sins hins friSja. En synir leysingja skulo taka 6. manna arf. föSor ok möÄor ok sunar ok döttor ok bröSor ok systor ok leysingja sius hins 7. Svä skal sunr leysingja taka ok sunarsunr ok I)ess sunr I>eir er svä taka ok svä döttir ok systir sem sunr ok bröSir ef ^eir ero eigi til. ok svä skal hvärt l>eirra hyggja fyrir öSru. En I)egar {>ä 6. menn liÖr, I>a hverFr aftr undir skapdröttinn arf v an öll til niunda knes ok svä fyrir hyggja ef I)ess I>arf." Es sollen also nach dieser Stelle die l)yrmslir, solange sie nicht abgekauft oder durch die Haltung des Freilassungsbieres beseitigt sind, neben dem Freigelassenen selbst auch noch 3 Graden seiner Descendenz obliegen, näm- lich wie im Folgenden gesagt wird , dessen Sohn , Enkel und Urenkel, wogegen der Sohn dieses letzteren von den- selben von Rechtswegen frei wird, auch wenn eine vertrags-

1) Fr])L., IX, §. U.

Maurer: Die Freigelassenen nach altnorwegischem "Rechte. 57

weise Beseitigung solcher Abhängigkeit nicht stattgefunden hat ; wenn demnach gesagt wird , dass 4 Personen den t)yrmslir unterliegen, und erst die 5te von ihnen frei werde, so ist dabei, wie iu der obigen Stelle der G{)L., der Frei- gelassene selbst mitgezählt. Weiterhin bespricht aber die Stelle auch noch den anderen Fall, da der Freigelassene sein Freilassnngsbier gehalten, oder sich von dessen Haltung freigekauft hat, und sie gesteht für diesen Fall dem Frei- gelassenen selbst seinen Kindern gegenüber ein Erbrecht zu, welches ihm oflPenbar in jenem anderen, zuvor be- sprochenea Falle nicht zukommen sollte, wie diess in der That nach den obigen Auseinandersetzungen sich von selbst versteht; sie räumt ferner den Kindern des Freigelassenen nicht nur ihren eigenen Kindern , sondern auch ihren ^Eltern und Geschwistern gegenüber ein Erbrecht ein, und verfährt ebenso bezüglich der Enkel und Urenkel des Frei- gelassenen, während sie zugleich dem Freilasser und seiner Nachkommenschaft ein eventuelles Erbrecht gegenüber dem Freigelassenen und seinen Nachkommen für den Fall ge- währt, dass erbberechtigte Personen innerhalb des Ge- schlechtes dieses letzteren nicht vorhanden sein sollten. Die Sache stand demnach so, dass die Zurücksetzungen, denen sich der Freigelassene geringerer Ordnung ausgesetzt sah, und zu denen ausser den l)yrmslir auch die Entziehung des Erbrechts u. dgl. gehörte , sich von Rechtswegen nach den G{)L. noch auf den ersten, nach den Fr{>L. aber noch auf die 3 ersten Grade seiner Descendenz erstreckten, wogegen nach den G{>L. dessen Enkel, nach den Fr|>L. aber der Sohn seines Urenkels von denselben ohne Weiters frei wurde, und eben damit sofort in den Kreis der freien Geschlechter einrückte. Aber dieselbe Wirkung konnte bereits vor dem Ablaufe der betreffenden Anzahl von Generationen dadurch erzielt werden, dass von dem Freigelassenen sein Freilas- sungsbier gehalten, oder ein dasselbe ersetzender Vertrag

58 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 9. Februar 1878.

mit dem Freilasser geschlossen wird ; docli bleibt, gleichviel ob das Freilassangsbier gehalten oder nicht gehalten wird, ein subsidiäres Erbrecht des Freilassers und seiner Nach- kommenschaft für den Fall bestehen, dass im Geschlechte des Freigelassenen selbst erbberechtigte Personen nicht vor- handen sein sollten , und dieses subsidiäre Erbrecht reicht nach beiden Rechtsbüchern ganz gleichmässig bis zum 9. Grade. Auf das Erbrecht beschränkt sich übrigens die fort- dauernde Beziehung zwischen beiden Häusern nicht; viel- mehr ist auch von einer ,,fjrirhyggja'' die Rede, unter welcher wir, nach der Überschrift einer anderen Stelle zu schliessen, ^) zunächst die Verpflichtung zur Versorgung dürftiger Angehöriger, vielleicht aber überdiess auch noch die Berufung zur Vormundschaft über minderjährige zu verstehen haben. Auch die G{>L. wissen von einer gegen- seitigen Alimentationspflicht, welche zwischen den Häusern des Freilassers und des Freigelassenen besteht; ich will in- dessen ihre Erörterung sowohl als die einiger erbrechtlicher Fragen mir auf später versparen, da sie ihre besonderen, für's Erste noch^ nicht wohl zu bewältigenden Schwierig- keiten bietet. Vorerst möchte ich vielmehr noch einige die Nachkommenschaft der Freigelassenen betreffende Fragen erledicjen , um hiedurch di*^ Prüfung jener schwierigeren Zweifelspnnkte vorzubereiten.

Widerholt wird von einem Vorzuge gesprochen, welcher dem Sohne des Freigelassenen seinem Vater gegenüber zu- komme, und als leysingja«;onr wird derselbe dabei be- zeichnet, ohne dass dabei zumei-^t angedeutet würde, welche Classe von Freigelassenen damit in Bezug genommen wer- den wolle. Die Bj>L. lassen zwar, wie oben schon bemerkt wurde, die leysingia börn auf dem Begräbuissplatze der levs- ingjar, und die frjälsgjafa börn auf dem der frjälsgjafar be-

1) Frl-L, IX, §. 25; vgl. auch §. 13, ebenda.

Maurer '. Die Freigelassenen nach altnorivegiscliem Hechte. 59

erdigen, *) und stellen auch hinsichtlich der blutigen Rache, welche wegen der Kränkung von Weibern genommen wer- den darf, die frjälsgjafar, leysingjar und leysingjasynir unter sich ganz gleich ;*) aber in Bezug auf den Betrag des Grab- kaufes,^) dann in Bezug auf die Höhe der ünzuchtsbusse *) stufen sie alle drei Classen unter sich ab , w^obei nicht un- bemerkt zu lassen ist, dass der frjälsgjafi, leysingi und höldr unter einander in dem normalen Verhältnisse von 1:2:4 stehen, wogegen sich der leysmgjasonr mit einem abnormen Ansätze in die Bussskala zwischen die beiden letzteren hinein- schiebt. Ganz ebenso steht die Sache auch nach den E{)L., ■•ndera auch diese zwar auf dem Kirchhofe die leysingjar mit ihren Kindern und die frjälsgjafar mit den ihrigen je in einer gemeinsamen Abtheilung beerdigen lassen, ^) aber in Bezug auf den Betrag des legkaup den leysingjason vom leysingi unterscheiden, und dem ersteren einen unorganischen Ansatz zwischen dem letzteren und dem höldr anweisen.^) In diesen beiden Rechtsbüchern kann natürlich unter dem besonders aufgeführten leysingjason nur der Sohn eines Freigelassenen höherer Ordnung verstanden werden, da sie ja die Bezeichnung leysingi auf diesen beschränken ; minder sicher ist dagegen die Auslegung bei den Gt>L., welche an einer Reihe von Stellen dem leysingjason gleichfalls einen eigenen Busssatz zwischen dem leysingi und d^m böndi ein- räumen, ^) ohne sich in dieser Beziehung auszusprechen. Man wird indessen darauf Werth legen dürfen , dass eine andere Stelle desselben Rechtsbuchs, welche die Werthgrenze

1) BDL., I, §. 9; II, §. 18; III, §. 13.

2) ebenda, II, §. 15.

3) ebenda, I. § 12; II, §. 20.

4) ebenda, II, §. 14.

5) E))L., I, §. 50; II §. 39.

6) ebenda, I, §. 48; II. §. 37.

7) Gl)L., §. 91, 185, 198, 200.

60 Sitzung der philos.-philol. Ölasse vom 9. Februar 1878,

bespricht, bis zu welcher die Weiber der verschiedenen Volks- classen über Vermögenstheile verfügen dürfen, ausdrücklich das Weib des Freigelassenen, welcher sein Freilassungsbier gehalten hat, dem Weibe seines Sohnes gegenüberstellt,^) und man wird überdiess auch hieher ziehen dürfen, dass die Kinder zweier Freigelassenen, welche beide ihr Freilassungs- bier noch nicht gehalten haben , nach wider einer andern Stelle als ,.jafnrettismenn viS föSur sinn" bezeichnet werden,^} also keine höhere Busse beziehen sollen als die ihres Vaters; dass auch nach diesem Rechtsbuche nur dem Sohn des Frei- gelassenen höherer Ordnung ein grösserer Bussbezug als der seines Vaters zugestanden sein konnte, dürfte sich aus beiden Angaben immerhin folgern lassen. In den Fr{)L. endlich wird gleichfalls nicht selten dem leysingjason eine höhere Busse zugewiesen als dem leysiiigi selbst , ^) und wenn das Gleiche an einigen anderen Stellen dieses Rechts- buches nicht der Fall ist,*) so mag sich diess auf eine Un- vollständigkeit, oder selbst auf eine blose Verderbniss des Textes gründen. ^) Wer dabei unter dem leysingjasonr zu verstehen sei, wird uns freilich auch wider nicht gesagt; indessen scheint die Vergleichung zweier Stellen des älteren Stadtrechtes in dieser Beziehung zur wünschenswerthen Auf- klärung zu verhelfen, während sie zugleich auch noch in an- derer Richtung sehr willkommene Aufschlüsse bietet. Die eine von diesen, welche in den FrI>L keine vollständige Parallele findet, bestimmt:^) ,,ef leysingja manns fyrirliggr ser eSa frjälsgefa, {)ä er hon sek viS skapdröttinn sinn 3 mörkom.

1) ebenda, §. 56.

2) ebenda, §. 63.

3) Frl)L., X, §. 35 und 46; XIII, § 15.

4) ebenda, IV, §. 49 und 53; X, §. 41.

5) Letzteres gilt z. B. von X, §. 41, wie die Vergleichung von §. 46 ebenda zeigt.

6) BjarkR., III, §. 127; vgl. etwa Prl)L, IX, §. 16.

Maurer: Die Freigelassenen nach altnorwegischem Rechte. 61

jafnt hinn fjorSa sem hinn fyrsta*' ; die zweite aber, welcher eine bereits angeführte Stelle der Fr{>L. , welche nur einer geringen Emendation bedarf, vollstäudig parallel geht, *) gewährt zunächst ,,leysingja syni mörk'\ mit dem Beifügen : ,,ok svä hinn {)ri5i taki mörk'*, während sie erst hinterher auf den Freigelassenen selbst eingeht, und diesem 6 oder nur 4 aurar zuweist, je nachdem er sein Freilassungsbier gehalten hat oder nicht. Die letztere Stelle kann nun sicherlich nur auf den Sohn eines Freigelassenen höherer Ordnung bezogen werden, da ja eine Bevorzugung des Sohnes eines Freigelas;;>enen niederer Ordnung vor dem Frei- gelassenen höherer Ordnung unmöglich angenommen wer- den kann; zugleich aber lässt eben diese Stelle deutlich er- kennen , dass die Bezeichnung ,,leysingjasonr" auf 3 ver- schiedene Grade bezogen wurde , welche im Bussbezuge einander gleich, und alle drei höher als der leysingi selbst angesetzt waren. Die erstere Stelle dagegen ist minder sicher zu deuten. Klar ist zwar, dass auch sie 4 Grade unter einer Bezeichnung zusammenfasst, und in Bezug auf die zu entrichtende Basse einander gleichsetzt ; nicht minder klar ist ferner, dass sie den Freigelassenen selbst in diese 4 Grade miteinrechnet, und gerade von ihm deren gemeinsame Bezeichnung hernimmt, während jene vorher besprochene Stelle den leysingi in ihre 3 Grade nicht miteinbezieht, und auch nicht von ihm, sondern von seinem Sohne deren gemein- same Benennung entlehnt. Schwierigkeiten macht nur, dass die Stelle die Freigelassene, von welcher sie bei ihrer Zähl- ung ausgeht, zugleich als leysiugja und als frjälsgefa be- zeichnet, und dass sie auch sonst nicht erkennen lässt, ob sie von einer Freigelasseneu geringerer oder höherer Ord- nung oder von beiden zugleich sprechen will ; indessen ist doch zu bedenken, dass im drönter Recht der leysingjasonr

1) BjarkR, III, §. 162j PrJ)L., X, §. 35.

62 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 9. Februar 1Q7S.

in der Busse hölier angesetzt zu werden pflegt als sein Vater, und dass somit die Gleiehstelluug von 4 Graden auf den leysmgi und seine Nachkommeu nicht passt, wie denn auch die zweite Stelle deren nur 3 zählt, und den leysingi selbst auslässt, wogegen von den Kindern des Freigelassenen ge- ringerer Ordnung in den G{>L. ausdrücklich gesagt wird, dass sie „jafnrettismenn vi5 fö6ur sinn" seien. So dürfte die Stelle sich immerhin nur auf die frjälsgefa beziehen, und mag ja sein, dass die Erwähnung der leysingja erst in die- selbe hineinkam, als jene erstere Bezeichnung ungewöhnlich geworden war ; unter dieser Voraussetzuug ergiebt sich aber folgender Schluss. Einerseits werden der Sohn, Enkel und Urenkel des Freigelassenen geringerer Ordnung mit diesem selbst in der Busse gleichgestellt, und darum auch mit dem ihm gebührenden Namen ,,frjalsgjafi'' bezeichnet, und ledig- lich als der erste bis vierte Mann unterschieden, wogegen des Urenkels Sohn, weil ,,ör {)jrmslum", nicht mehr der gleichen Behandlung und Bezeichnung unterliegt; anderer- seits zählt man vom Freigelassenen höherer Ordnung ab ebenfalls noch 3 Generationen welter, jedoch ohne den Stammvater selbst mit einzurechnen, und man wendet auf diese 3 Generationen ebenfalls wider eine einheitliche Be- zeichnung mit bioser Numerirung der einzelnen Grade, und einheitlicher Behandlung in Bezug auf den Busssatz an, nur dass diese Bezeichnung, eben weil der Freigelassene selbst nicht mit eingerechnet wurde, nicht ,, leysingi", sondern ,,leysingjasonr" lautete. Die ersten 4 Generationen von der Freilassung ab , den Freigelassenen selbst mit einge- rechnet, bildeten also, die Nichthaltung des Freilassungs- bieres und den Nichtabschluss eines diese vertretenden Vertrages vorausgesetzt, die den {>yrmslir und so manchen anderen Beschränkungen unterworfene, und zugleich in der Busse erheblich geringer angesetzte Classe der frjälsgjafar, innerhalb deren keine weitere Abstufung galt, sodass also

Maurer: Die Freigelassenen nach altnorwegischem Bechte. 63

der vierte Mann ebenso behandelt wurde wie der erste; da- gegen trat der fünfte Mann von Rechtswegen als leysingi in die höhere Ordnung über, und unterliegt samrat seinem Sohne, Enkel und Urenkel nur noch einerii subsidiären Erb- rechte des Freilassers und seiner Nachkommenschatt , wo- gegen sich innerhalb dieser Gruppe bereits ein beschränktes Erbrecht auf Grund der Verwandtschaft einfindet, und zu- gleich der Bussansatz sich steigert. Aber wenn hiernach die 5te bis 8te Generation von der Freilassung abgerechnet zwar auch noch in gewisser Beziehung als eine einheitliche Gruppe zusammengefasst und den vollfreien Leuten entgegengesetzt werden kann, so herrscht in ihr doch nicht derselbe Grad von Einheitlichkeit wie in jener ersteren. Einerseits näm- lich steht dem Sohne des leysingi ein erweitertes Erbrecht zu im Vergleiche mit dem des leysingi selbst, während das des Enkels und Urenkels dem des Sohnes gleich ist; an- dererseits ist der Sohn auch in der Busse hoher angesetzt als sein Vater, während der Enkel und Urenkel auch in dieser Beziehung dem Sohne gleichsteht, und so erklärt sich, dass die 6te bis 8te Generation unter dem gemeinsamen Namen der leysingjasynir dem leysingi selbst gegenüberge- stellt werden konnte. Noch über den gewöhnlichen leys- iiigjason hinaus erscheint, beiläufig bemerkt, der l^yborinn sonr begünstigt. Die Fr[)L. sprechen ihn von den {>yrmslir frei, und gewähren ihm den Anspruch auf eine Busse, welche nur um ein Drittel geringer ist als die seines freigeboreneu Vaters, während die von ihm mit einer freigeborenen Mutter erzeugten Kinder sogar gleiches Recht mit ihrem Gross- vater haben , also als freigeboren gelten sollen ; ^) nach den G{)L. aber ist der {)yborinn sonr vollends „jafnrettismaSr viÖ föSur sinn", und kommt „til alls rettar'',^) d. h. er wird

1) FrJL., X, §. 47.

2) GJ)L, §. 57 und 104.

64 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 9. Februar 1878:

selbst bereits dem Preigeborenen in Bezug auf seine Busse gleichgestellt. Dieses Vorkoramniss steht indessen zu iso- lirt, und ist zu eigenthümlich geartet, als dass es für die Construction des Freigelassenenrechtes im Ganzen verwerthet werden könnte ; um so bedeutsamer ist dagegen eine andere Reihe von Thatsachen, welche in sehr auffälliger Weise unser Thema beleuchtet. Die Fr{)L. lassen einerseits das bauggildi und andererseits das nefgildi bis zum 3. gleichen Grade der Seitenlinie reichen, ^) also genau soweit, als die aus 3 Graden der Descendenz erwachsende Verwandtschaft reichen kann, und wenn zwar die Gt>L. die baugar nur bis zum 2. gleichen Grade geben und nemen lassen, so fehlt es doch nicht an Anhaltspunkten, welche auch für sie eine ursprüngliche Erstreckung beider Verwandtschaftskreise bis zu jener weiteren Grenze wahrscheinlich erscheinen lassen. Dieselben Frl»L. bezeichnen ferner den Freigelassenen ge- ringerer Ordnung mit seinem Sohne, Enkel und Urenkel als ,,leysiugs sett", d. h. die Verwandtschaft eines leysingi, ^) woraus sich, wenn wir diesen letzteren Ausdruck in seinem engeren und ursprünglicheren Sinne nennen dürfen, ergeben müsste, dass der leysingi selbst mit seinem Sohne, Enkel und Urenkel als Verwandtschaft eines Vollfreien zu bezeichnen wäre. Die G[>L. sodann gebrauchen für die vollfreien Leute, wo immer es gilt, sie den Freigelassenen gegenüber nach- drücklich als solche zu bezeichnen, den Ausdruck „astt- borinn^', d. h. zu einem Geschlechte geboren,') und die Fr{>L. legen dem Manne, der vollfrei (ärborinn) zu sein behauptet, während ein Anderer ihn als seinen Freigelassenen in An- spruch nimmt , den Beweis auf, dass bereits 4 seiner Vor- fahren in gerade aufsteigender Linie frei gewesen seien.*)

1) Fr])L., VI, §. 2 und 4, und 7—8.

2) ebenda, IX, §. 11; siehe oben S. 56.

3) G5L., §. 63, 71 u. 198; aber auch FrjL., IX, §. 16 u. öfter.

4) Frl)L., IX, §. 10.

Maurer: l)ie Freigelassenen nach altnorwegischem Rechte. 65

Man wird nun aus diesen verschiedenen Aussprüchen den Schiuss ziehen dürfen, dass eine ,,aett" erst dann angenom- men wurde, weun ein volles banggildi und nefgildi vorhan- den war oder doch vorhanden sein konnte, und dass erst dann , wenn aus der Descendenz eines frjälsgjafi eine leys- ings aett erwachsen war, seine ferneren Nachkommen zu leysingjar, und erst dann, wenn aus der Descendenz eines leysmgi eine arborins aett erwachsen war, dessen fernere Nachkommen zu arbornir menn oder a^ttbornir menn im strengsten Sinne des Wortes werden konnten. Man wird zur Verstärkung dieses Schlusses auch noch die Parallele des Stammgüterrechtes heranziehen, und geltend machen dürfen, dass nach einer Bestimmung der G|)L. das Land als ,,ö8ar^ galt, welches der Grossvater dem Grossvater hin- terlassen hatte, *) was freilich an einer anderen Stelle des- selben Rechtsbuches dahin ausgelegt wird, als ob damit der Nachweis von 5 , nicht 4 Ahnen gefordert würde, welche nach einander und vor dem jetzigen Inhaber das fragliche Gut besessen hatten , ^) während die Fr[)L. umgekehrt nur den Nachweis von 3 im Besitze gewesenen Ascendenten fordern, sodass der derzeitige Besitzer der vierte ist.^) Wie hier Land dadurch zum Stammgute wird, dass es lange genug vom Vater auf den Sohn vererbt, um in der Nach- kommenschaft des ersten Erwerbers ein volles Geschlecht, d. i. 3 Grade in absteigender Linie von jenem abwärts, oder 3 Grade in der Seitenlinie vom letzten Besitzer weg- gezählt entstehen zu lassen, so wird dort aus dem frjälsgjafi durch das Erwachsen einer gleichen Zahl von Graden ein leysingi , und aus dem leysmgi wider ein vollfreier Mann. Aus dieser tieferen Begründung des üeberganges vom frjäls-

1) GI.L., §. 270.

2) ebenda, §. 266.

3) Fr>L., XII, §. 4.

[1878 I. Philos.-philol. bist. Cl. 1.]

66 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 9, Februar 1878.

gjafi zum lejsingi, und von diesem zum Vollfreien ergiebt sicli aber auch, dass die Beschränkung der {)yrmslir auf Vater und Sohn, wie sie in den G{>L. auftritt, kaum alten Rechtens sein kann, wie denn auch nach diesem Rechtsbuche ebensogut wie nach den Fr{>L. die leysings erfS bis zum 9. Knie reicht; ursprünglich wird vielmehr wohl auch im Bezirke des Gulal>inges die Unterwerfung unter die I)yrmslir bis zum Urenkel des Freigelassenen geringerer Ordnung ge- reicht haben, und in jener Beschränkung derselben auf dessen Sohn eine spätere Milderung des Rechts zu erkennen sein. Dass aber das Verschwinden der Folgen des Freigelassenen- standes mit dem Ablaufe einer bestimmten Anzahl von Generationen recht wohl neben der oben aus den G{)L. nach- gewiesenen Ersitzung der Freiheit seine Stelle finden konnte,*) erklärt sich ganz befriedigend aus der Verschiedenheit der Voraussetzungen, an welche hier und dort die bezeichneten Rechtsfolgen geknüpft sind. Die Ersitzung der Freiheit, wenn man sie überhaupt so nennen will, setzt nicht nur die ausdrückliche Behauptung des angeblichen Freigelassenen voraus, dass er sein Freilassungsbier vor mindestens 20 Jahren gehalten habe, sondern auch den Beweis, dass er wäh- rend dieser ganzen Zeit in Bezug auf Freizügigkeit, Ver- ehelichung und Verfugung über sein Vermögen der vollsten Freiheit sich erfreut habe; dagegen vertrug sich das Er- löschen der Zurücksetzungen, welchen der frjälsgjafi unter- lag, durch den Ablauf der 3. Generation seiner Descendenz vollkommen wohl mit dem Zugeständnisse, dass die 4 Ahnen des ,, fünften Mannes" eben diesen Zurücksetzungen noch unterlagen.

Durch das Bisherige dürfte nun die Erörterung der- jenigen Fragen ermöglicht sein, deren Besprechung oben noch vorbehalten bleiben musste; es handelt sich aber da-

1) vgl. oben S. 26.

Maurer: Die Freigelassenen nach aUnorwegischem Rechte. 67

bei zunäcbst um das Versfcäiidniss einer Reibe von Stellen, welche von der rechtlichen Behandlung der Freigelassenen reden, ohne dabei anzugeben, welche Classe von solchen sie im Auge haben. So wird z. B. gesagt,*) dass die Anname eines Schuldknechtes regelmässig am Ding zu erfolgen habe , jedoch dann auch in jeder beliebigen anderen Ver- sammlung erfolgen könne, wenn es sich nur um „leysings börn" handle. Weniger Umstände sollen also mit den Kin- dern von Fr(?igelassenen gemacht werden, als mit den Kin- dern besser gestellter Leute ; das kann aber auf beide Classen von Freigelassenen ganz gleichmässig bezogen werden, da auch deren höhere Classe hinsichtlich der allgemeinen Stan- desrechte den Freigeborenen nachstand, und da gerade die G{>L., denen jene Vorschrift entlehnt ist, bezüglich der Buss- sätze u. dgl. zwischen beiden Classen nicht unterscheiden, wird doch wohl auch unser Satz auf sie beide zugleich be- rechnet sein. Nach den Gf)L. soll ferner für die mit einer Freigelassenen begangene Unzucht deren Herr eine Busse von 6 Unzen erhalten , und wenn sich eine Freige- lassene mit einem Unfreien vergeht, soll sie in die Schuld- knechtschaft ihres Herrn verfallen wie die Freigeborene, und zwar diese um den Betrag von 3 Mark , in die des Königs ; ^) nach den FrI>L. aber und dem Stadtrechte ist die Sache ebenso geordnet, nur dass hier noch ausdrücklich bemerkt wird , dass die von der Freigelassenen verwirkte Busse, für welche sie in Schuldhaft gehen soll, ebenfalls 3 Mark beträgt, wogegen jene Busse von 6 Unzen von ihrem Concumbenten zu erlegen ist.^) Nun ist oben be- reits dargethan worden, dass die einschlägige Stelle des Stadtrechts sich nur auf die Freigelassene niederer Ordnung

1) GDL., §. 71.

2) ebenda, §. 198.

3) PriL., IX, §. 16; BjarkR., III, §. 127.

5*

68 Sitzung der pMlos.-philol. Classe vom 9. Februar 1878.

beziehen kann, obwohl ,,leysmgja eSa frjälsgefa'' in ihr neben einander genannt werden ; da ferner in der Stelle der FrI)L. sofort die Worte folgen : ,,en ef settborinn maSr tekr leysmgja manns, er hon sek viS skapdrottin sinn 3 merkr, en börn {>eirra ör {>yrmslum", so muss auch an ihr eine Freigelassene vorausgesetzt werden, die noch i Jjyrms- lum , also geringerer Ordnung ist , und in der That weist auch der Zusammenhang ebendahin, in welchem der Bezug der Unzuchtsbusse mit dem Verehelichungsrecht steht. Nach den Gf>L. soll ferner die Freigelassene gleich einer in- ländischen Sklavinn für einen von ihr begangenen Dieb- stal im ersten Falle ein Ohr, im zweiten Falle das zweite Ohr, und im dritten Falle die Nase verlieren, dann aber als „stüfa ok nüfa" ruhig weiter stelen dürfen. ^) Auch in diesem Falle wird man wohl nur an Freigelassene niederer Ordnung denken dürfen, da für deren höhere Classe die an- gedrohte Behandlung doch wohl zu hart wäre. Weiter- hin kommt aber auch noch eine Reihe von Stellen in Be- tracht, welche die Alimentationspflicht betreffen, und sie zumal sind es, welche ernsthafte Schwierigkeiten bereiten. Es besprechen aber die G{)L. zunächst die Ver- pflichtung des Freigelassenen, seinen Patron zu alimentiren, wenn auch in eigenthümlichem Zusammenhange. Sie nennen nämlich unter den Vergabungen, welche unter allen Um- ständen aufrecht gehalten werden sollen, zwei mit der Frei- lassung zusammenhängende, indem sie zunächst sagen: „mannfrselsi skal hallda, nema peim liggi vi8 hei eSa hüs- gängr; {)ä skal hann taka fostrlaun af hanom, ef hann galt eigi verS sitt", und hinterher noch die ,,leysingsaurar, 6 aurar" beifügen.*) Die Stelle unterscheidet damit ganz richtig zwischen den beiden für die Freilassung in Betracht

1) G])L., §. 259.

2) ebenda, §. 129.

Maurer: Die Freigelassenen nach altnorwegischem Eechte. 69

kommenden Acten, und bringt beide unter den Gesicbts- punkt einer Vergabung, was natürlich voraussetzt, dass der erste Act unentgeldlich vollzogen, und dass beim zweiten auf den Bezug der leysingsaurar Verzicht geleistet worden war. Im ersten Theile der Stelle, der hier alHnn in Be- tracht kommt, handelt es sich also um einen Sklaven, der „skattalaust ok skulda" freigelassen war, und somit seine Verehelichungs- und Vermögensdispositionsbefugniss erlangte, ohne eines Preilassungsbieres zu bedürfen , übrigens aber den [jjrmslir unterworfen blieb, und von ihm wird gesagt, dass seine Freilassung nicht angefochten werden dürfe, son- dern dass der Freilasser nur, wenn er in die äusserste Noth gerathe, von ihm ,,föstrlaun" beanspruchen dürfe, d. h. eine Vergeltung für die ihm gewährte Verpflegung. Unter dem letzteren Ausdruck, welcher noch an einer zweiten, gleich zu besprechenden Stelle desselben Rechtsbuches ^) und über- diess auch im isländischen Rechte vorkommt,^) wird ledig- lich eine Gegenleistung verstanden werden dürfen , welche der Freigelassene zur Vergeltung des Unterhaltes zu machen hat, den ihm der Freilasser vordem gereicht hatte, ganz wie unter den barnföstrlaun, welche unser Rechtsbuch gleich- falls zu den unanfechtbaren Vergabungen rechnet,^) der für die Erziehung eines Kindes gegebene Lohn zu verstehen ist; ob der Betrag dieser Vergeltung dabei ein für allemal be- stimmt, oder erst je nach den Umständen von Fall zu Fall zu bestimmen war , mag dahingestellt bleiben , immerhin aber ergiebt sich soviel, dass dem Freigelassenen eine sub- sidiäre Alimentationspflicht seinem Freilasser gegenüber oblag, und macht nur der Umstand Schwierigkeiten, dass es sich im gegebenen Falle um einen Freigelassenen handelt, der

1) ebenda, §. 66.

2) Ömagab., cap. 24—25, S. 279—82.

3) GI>L., §. 129 und 270.

70 Sitzung der philos.-philoh Classe vom 9. Februar 1878.

noch 1 {»yrmslum , aber doch im üebrigen gehalten ist wie wenn er sein Freilassungsbier bereits hinter sich hätte. Man wird indessen kaum fehl gehen, wenn man annimmt, dass die Verpflichtung beide Classen von Freigelassenen ganz gleichmässig traff, da ja die Ff)L. umgekehrt auch noch eine subsidiäre Alimentationspflicht des Freilassers der höheren Classe derselben gegenüber kennen ; ') dass aber die Alimen- tationspflicht einen Sklaven nicht trifft, welcher sich selber frei- gekauft hat, ist sehr natürlich, da ein solcher in seiner Loskaufs- summe bereits das Gegengeld für Alles bezahlt hat , was der Herr an ihm gethan hatte. Um so schwieriger ist aber die Auslegung einer auderen Stelle, welche zwar zunächst die Yerehelichung der verschiedenen Arten von Freigelassenen, und die rechtliche Stellung der Kinder, welche aus ihren Ehen hervorgehen, in sehr casuistischer Weise bespricht, dabei aber auch auf die Alimentationspflicht zu sprechen kommt, welche umgekehrt dem Freilasser seinem Freige- lassenen und dessen Kindern gegenüber obliegt. '^J Die Stelle behandelt zuerst den Fall, da ein Freigelassener ein Weib vollfreien Standes heirathet, und unterscheidet dabei, je nachdem derselbe sein Freilassungsbier bereits gehalten hat oder nicht. Hat er es gehalten, and wird die Ehe bei Leb- zeiten beider Gatten getrennt, so sollen die Kinder zunächst alle der Mutter folgen ; stirbt diese sodann vor dem Yater, so sollen dieselben zu diesem zurückkehren, und von ihm alimentirt werden, bis sein gesammtes Vermögen aufgezehrt ist; ist es endlich soweit gekommen, so sollen die Kinder wider an das „bessere Geschlecht" zurückfallen, d. h. von den Verwandten der Matter alimentirt werden, wogegen der Vater seinem Freilasser anheimfällt. Wenn dagegen der Freigelassene sein Freilassungsbier nicht gehalten hat, fallen

1) FrJ)L., IX, §. 11 und 13.

2) G1)L., §. 63.

Maurer: Die Freigelassenen nach altnorwegi6chem Eechte. 71

die Kinder unter allen Umständen der Mutter und ihrer Verwandtschaft anheim, wie auch die Ehe getrennt werde. Insoweit sind die massgebenden Gesichtspunkte ziemlich klar. Hat der Freigelassene sein Bier nicht gehalten, so erscheint seine Ehe als eine widerrechtlich eingegangene, und können aus ihr ebendarum keine rechtlichen Verpflicht- ungen für den Freilasser erwachsen ; in diesem Falle müssen also die iu der Ehe geborenen Kinder schlechthin ihrer Mutter und deren Angehörigen zur Last fallen, da der Patron ihnen gegenüber keine Verpflichtungen hat, und auch nicht zu dulden braucht, dass zu ihren Gunsten das Ver- mögen seines Freigelassenen angegrifi*en werde. Hat da- gegen der Freigelassene sein Bier gehalten , und ist somit seine Ehe rechtsgültig eingegangen, so hat zwar die inten- sivere Stärke des verwandtschaftlichen Bandes gegenüber dem Patronate, und die grössere Leistungsfähigkeit der voll- freien Verwandtschaft ein stärkeres Heranziehen der Mutter und ihres Hauses zur Alimentationspflicht zur Folge, aber doch nur so, dass auch der Vater und dessen Patron daneben nicht ganz frei ausgehen. Auffällig ist freilich, dass die Casuistik unserer Stelle in ihrer ersten Hälfte nicht er- schöpfend ist; indessen genügen doch die in ihr und ander- wärts aufgestellten Regeln vollkommen, um auch die nicht ausdrücklich vorgesehenen Fälle mit Sicherheit erledigen zu lassen. Stirbt nämlich bei einer unter Lebenden getrennten Ehe der Freigelassene höherer Ordnung zuerst, so fallen die Kinder selbstverständlich der Mutter zur Last, sovreit nicht der ihnen anfallende Nachlass des Vaters zu ihrem Unter- halte hinreicht; wird die Ehe dagegen durch den Tod ge- trennt, so wird doch wohl nach Analogie einer unten noch zu besprechenden Stelle der Frf)L. *) die Regel zum Zuge kommen, dass die Kinder mit ^/3 dem Vater und mit Vs

\) FrI.L., IX, §. 11.

72 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 9. Februar 1878.

der Mutter zur Last fallen, nur dass diese Kegel selbstver- ständlich dahin wird ergänzt werden müssen, dass die Kin- der auch in diesem Falle von dem Momente an völlig der Mutter anheimfallen, da das väterliche Vermögen vollständig auf- gezehrt ist. Da nämlich die Gj>L. bei der Ausscheidung der Antheile beider Ehegatten am gemeinsamen Vermögen jenen Massstab ebensogut festhalten wie die Fr{>L./) lässt sich doch wohl annemen, dass sie denselben auch wie diese bei der Vertheilung der Kinder für den Fall der Trennung der Ehe durch den Tod zur Anwendung bringen wollten, welcher Fall ja ausdrücklich als nicht unter die Regel ihres §. 63 fallend bezeichnet wird, und mochte dieses Falles an unserer Stelle nur darum nicht ausdrücklich gedacht worden sein , weil sich seine Entscheidung ohnehin aus an- derweitig genugsam bekannten Rechtsgrundsätzen zu ergeben schien. Einer Erklärung dürfte endlich auch noch bedürfen, dass der umgekehrte Fall an unserer Stelle unerwähnt bleibt, da ein vollfreier Mann eine Freigelassene heirathet; auch in dieser Richtung dürfte indessen die Vergleichung der Frl>L. Aufklärung schaffen. Diese lassen nämlich solchenfalls das Weib dem Patrone 3 Mark entrichten, also die gewöhnliche Unzuchtsbusse, wie sie ihr für den Fall ihrer Mitschuld ob- lag; *) aber sie fügen sofort bei, dass die Kinder „ör t)jrmslum" sein sollen , was doch wohl heisseu will, dass die Ehe als gültig anerkannt bleibt, sodass also ein Freigeborener gegen Erläge von 3 Mark an ihren Patron in Norwegen ohne Weiters jede fremde Freigelassene heirathen konnte, ganz wie er auf Island jede fremde Sklavinn um den Betrag von 12 Unzen sich kaufen konnte, um sie als seine Concubine, oder nach späterem Recht als seine Frau zu haben. ^) Ver- wickelter werden nun aber die Bestimmungen unserer Haupt-

1) G5L., §. 53 und 64.

2) FilL., IX, §. 16.

3) Kgsbk., §. 112, S. 192; Festa{>., cap. 4^, S. 358.

Maurer: Die Freigelassenen nach altnorwegischem Fechte. 73

stelle, sowie dieselbe zu dem anderen Hauptfalle übergeht, da ein Freigelassener eine Freigelassene heirathet, und zwar nicht nur darum , weil sich solchenfalls die Standesverhält- nisse sehr verschieden gestalten können, jenachdem der Manu der höheren oder der geringeren Classe von Freigelassenen angehört, und die Frau mit ihm gleichen oder ungleichen Standes ist, sondern auch darum, weil je nach Umständen auch noch ein positives Eingreifen des einen oder anderen Patrones in die Gestaltung der Verhältnisse denkbar ist. Am Einfachsten steht die Sache noch, wenn beide Ehegatten völlig gleichen Standes sind, und für diesen Fall schreibt unsere Stelle zunächst vor,^) dass, wenn beide Eheleute ihr Freilassungsbier gehalten haben, auch ihre Kinder sie beide beerben, „aber wenn sie verarmen, so sind sie Grabgangs- leute; man soll auf dem Kirchhofe ein Grab graben, und sie da hineinsetzen , und da sterben lassen ; der Herr aber soll das herausnemen, welches am Längsten lebt, und das nachher ernähren''. Noch ein zweites Mal geschieht in dem Rechtsbuche der grafgängsmenn Erwähnung , nämlich ge- legentlich der Vertheilung der Heerlast , ^) und galt die Regel, dass sie bei dieser nicht mitein zurechnen seien, falls nicht etwa der Patron die auf sie verwendeten Verpflegungs- kosten als Schuld auf sie legte, und damit also deren seiner- zeitigen Ersatz ins Auge fasste. Die Worte unserer Haupt- stelle lassen allerdings zweifelhaft, ob unter den Grabgangs- leuten nur die Kinder der Freigelassenen, oder zugleich auch diese selbst zu verstehen seien; indessen möchte ich, der gewöhnlichen Meinung folgend,^) mich für die erstere Deu- tung entscheiden, da ja die Stelle ausserdem nicht von einem einzigen Patrone sprechen könnte, vielmehr die beiden Patrone

1) GI)L., §. 63.

2) Gl)L., §. 298.

8) vgl Estrup, S. 119; Gjessing, S. 279j Eriksen, S. 57; Fr. Brandt, S. 171,

74 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 9. Februar 1878.

der beiden iElteru zur Tragung der Alimentationspfliclit heranzuziehen wären. Dagegen möchte ich unter den ,,börn'' der Freigelassenen nicht blos deren Kinder im engeren Sinne, sondern deren sämmtliche Nachkommen bis zum 8ten Grade einschliesslich verstehen , da die Alimentations- pflicht des Patrones doch wohl ebensoweit reichte als dessen Erbrecht, und wird man andererseits das harte Recht, wel- chem der Ausdruck grafgäugsmenn seine Entstehung ver- dankt, nicht als ein im 13. Jahrhundert noch in Übung stehendes , sondern nur als eine aus grauer Vorzeit über- lieferte Antiquitset,^) wenn nicht gar blos als einen drasti- schen Ausdruck des Satzes betrachten dürfen, dass die dem Patrone obliegende Alimentationslast keine rechtlich schlecht- hin unbegrenzte sein solle. Übrigens lässt noch eine weitere Stelle der Gl>L. , mit dem Obigen völlig übereinstimmend, recht klar erkennen , dass die Alimentationspflicht des Pa- trones auch dem Freigelassenen höherer Ordnung selbst gegenüber jedenfalls nur eine sehr eventuelle war. .Sie sagt nämlich, '^J dass die Kinder eines Freigelassenen, welcher sein Freilassungsbier gehalten, oder vertragsweise aus dem stren- geren Abhängigkeitsverbande sich losgekauft hat, für ihre verarmten j$]ltern zn arbeiten haben, so lange diese letzteren leben, ohne doch auch noch auf später hinaus in Schuld genommen, oder für den Ersatz weiterer Verpflegungskosten haftbar gemacht werden zu können ; dass sie aber , wenn sie nicbt für ihre ^Eltern arbeiten wollen, auch ,,föstrlaun" zahlen und davongehen mögen. Unter diesen fostrlaun werden hier doch wohl die Kosten des Unterhaltes der ^Eltern zu ver- stehen sein, und geht demnach die Bestimmung dahin, dass die Alimentationspflicht in erster Linie auf den Kindern ruhen

1) vgl. Osenbrüggen's Ausführung über „das jus primse noctis", in seinen Deutschen Rechtsalterthümern aus der Schweiz, S. 86 96.

2) G5L., §. 66.

Mauren Die Freigelassenen nach altnonvegischem "Rechte. 75

soll, was aucli ganz billig ist, da diese unter den gegebenen Voraussetzungen aucb ihre iEltern zu beerben berechtigt sind ; nur soll den Kindern nicht mehr zugemuthet werden, als was sie durch den Ertrag ihrer Arbeit bei Lebzeiten der Altern erschwingen können, während ihnen andererseits verstattet wird, gegen volle Deckung der gesammten Alimen- tationskosten sich von der Verpflichtung, (im Hause des Patrons? oder der Altern?) zu arbeiten, loszukaufen. Erst wenn die Kinder die volle Alimentation ihrer Altern nicht zu bestreiten vermögen, oder wenn solche etwa nicht vor- handen sind, kann somit auf die Verpflichtung des Patrones zurückgegriff'en werden. Unsere Hauptstelle *) behandelt aber auch den umorekehrten Fall, da zwei Freigelassene einander heirathen, welche beide ihr Freilassungsbier noch nicht gehalten haben. In diesem Falle sollen die aus der Ehe erwachsenden Kinder Standesgenossen ihres Vaters sein, also wie dieser zu den Freigelassenen geringerer Ord- nung gehören, und wird von ihnen überdiess gesagt: ,,da sollen sie arbeiten für den Alten und die Alte, und wenn eines von ihnen davon ziehen will, soll es an seiner Statt 3 Mark erlegen'*. Dass solche Kinder ihre Altern nicht beerben , wird hier zwar nicht ausgesprochen, ist aber aus anderen Stellen bekannt, ünerörtert bleibt auch die andere Frage, wieweit solche Kinder dem Patrone gegenüber alimen- tationsberechtigt und alimentationspflichtig waren, und lässt sich in dieser Beziehung höchstens die Vermuthung aus- sprechen, dass ihre Lage diessfalls dieselbe gewesen sein möge wie die ihrer ^Eltern, deren Standesgenossen sie ja waren. Ausgesprochen wird dagegen, dass solche Kinder ihren eigenen iEltern gegenüber, denn nur diese können unter „karl ok kerling'' an unserer Stelle verstanden werden, alimentationspflichtig sein sollen, obwohl sie dieselben nicht

1) ebenda, §. 63.

76 Sitzung der pküoa.-phüöl. Classe vom 9. Februar 1878.

beerben, jedoch allerdings mit der Beschränkung, dass sie sich von dieser Verpflichtung jederzeit durch Erläge von 3 Mark frei machen können. Man darf diese Zahlung nicht mit den fostrlaun der vorhin besprochenen Stelle in Ver- bindung bringen. Allerdings wird einmal demjenigen, wel- cher einen ihm vertragsweise übergebenen Pflegling ohne die ihm gebührende Verpflegung lässt, eine Zahlung von 3 Mark auferlegt, und dabei beigefügt, dass das Gleiche von Jedem gelte, der einen von ihm zu Versorgenden un- verpflegt lasse ; ^) aber diese Zahlung von 3 Mark enthebt den Pflichtigen nicht seiner Verpflichtung, und ist somit nicht als ein ^Equivalent der Verpflegung, sondern als eine zu dieser hinzukommende Busse aufzufassen. Überdiess wird anderwärts das für die dauernde Ernährung eines ,,6magi" eben noch zureichende Capital auf 4 Mark berechnet , *) sodass also die fostrlaun, wenn sie überhaupt auf einen ein für allemal bestimmten Betrag angesetzt werden wollten, jedenfalls auf mehr als 3 Mark veranschlagt werden mussten. Dagegen wird man sich daran erinnern dürfen, dass unser Rechtsbuch den Altern verstattet, ihre Kinder bis zum Be- trage von 3 Mark in Schuld zu geben, d. h. bis zum Durch- schnittswerthe eines gewöhnlichen Sklaven,') und zugleich zu berücksichtigen haben, dass der Patron sogar den graf- gängsmenn gegenüber berechtigt war, den Betrag seiner Alimentationskosten als Schuld auf sie zu legen ; *) von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet enthält aber unsere Bestimmung lediglich den Satz, dass die Kinder der Frei- gelassenen niederer Ordnung bis zu jenem Betrage ihren JEltern, und weiterhin dem Patrone, welcher diese ihre

1) G]>L, §. 70.

2) ebenda, §. 115.

3) ebenda, §. 71; vgl. meine Abhandlung über: Die Schuld- knechtschaft nach altnordischem Rechte, S. 4.

4) G5L., §. 298.

Maurer: Die Freigelassenen nach altnorwegischem Bechte. 77

iEltern eventuell zu alimentiren hatte, schon von Rechts- wegen verhaftet waren, ebendarum aber auch durch Erläge dieses Betrages sich von ihrer Haftung loskaufen konnten. Endlich zieht aber unsere Hauptstelle auch noch die Fälle in Betracht , in welchen die Eheleute zwar beide Freige- lassene sind , aber in Bezug auf ihr Freilassungsbier sich ungleich verhalten ; *) gerade diese Fälle sind aber für die Auslegung die schwierigsten. Hat zwar die Frau ihr Bier gehalten, aber der Manu nicht, so sollen die Kinder beiden Altern gegenüber gleichmässig des Erbrechtes entbehren. Hat dagegen der Mann sein Bier gehalten, aber die Frau nicht, so sollen die Kinder dennoch Beiden gegenüber erbbe- rechtigt sein, wenn der Patron der Frau auf seine Anwart- schaft auf die Erbschaft (von) verzichtet. Hat endlich der Herr des einen Theils in die Ehe gewilligt , der Herr des anderen Theiles aber nicht, so hat der nicht consentirende Patron die Wahl, wie er sich zu der Sache stellen will, und er kann demnach, wenn es sich um eine fette Erbschaft handelt, dieselbe für sich beanspruchen, dagegen im Verar- mungsfalle sich die Alimentationspflicht vom Leibe halten. Es leiden diese Bestimmungen, wie man sieht, an grosser UnVollständigkeit, indem die Haltung oder Nichthaltung des Freilassungsbieres, die Ertheilang oder Nichtertheilung des Heirathsconsenses Seitens des Patrons bei nicht ge- haltenem Biere, endlich dessen Verzicht oder Nichtverzicht auf seine Erbansprüche neben einander in Betracht gezogen, aber keineswegs alle aus der Combination dieser verschiedenen Factoren sich ergebenden Möglichkeiten auch wirklich be- sprochen werden. Der letzte der 3 aufgestellten Sätze spricht aber eine sehr klare, und auch bezüglich ihrer Be- gründung sehr verständliche Regel aus. Er setzt natürlich den Fall voraus, da die beiden Eheleute ihr Freilassungs-

1) ebenda, §. 63.

78 Sitzung der 'ph'äos.-ph'dol, Classe vom 9. Februar 1878.

bier nicht gehalten haben, soferne ja nur nnter dieser Vor- aussetzung auf die Ertheilung des Eheconsenses Seitens ihrer Patrone etwas ankommen konnte, und er will solchenfalls dem nicht conseutirenden Patrone die Wahl lassen , ob er die Folgen seiner Cousensvervveigerung ziehen oder nicht ziehen wolle; dieser kann somit, da die Ehe ohne seinen Consens eingegangen ist, den aus ihr erwachsenen Kindern ihr Erbrecht bestreiten und den Nachlass ihres parens für sich selbst in Anspruch nemen, er kann aber auch die Eheleute behandeln, wie wenn er seinen Consens zu ihrer Ehe ertheilt hätte, und sich somit von der drückenderen Alimentationspflicht frei machen, welche ihn Freigelassenen niederer Ordnung gegenüber au und für sich träfe. Damit ist stillschweigend aber auch gesagt, dass der Patron, welcher seinen Eheconsens ertheilt hat, den aus der Ehe erwachsenden Kindern ihren Anspruch auf den Nachlass des betreffenden parens nicht bestreiten darf, und dass er andererseits im Verarmungsfalle für die Verpflegung sei es nun der Kinder oder des betreffenden parens aufkommen muss ; haben dem- nach die Patrone beider Altern consentirt, so sind die Kin- der beiden J^]ltern gegenüber erbberechtigt, und haben beide Patrone nicht consentirt, sind die Kinder keinem ihrer Altern gegenüber erbberechtigt. Der erste der drei ausgesprochenen Sätze dagegen stellt für den Fall , da die Ehefrau ihr Bier gehalten hat, der Ehemann aber nicht, die Regel auf, dass die Kinder Beiden gegenüber nicht erbfähig sein sollen, wobei natürlich stillschweigend vorausgesetzt wird, dass der Patron des letzteren nicht etwaseinen Eheconsens ertheilt hat; dem Vater gegenüber sich von selbst verstehend , o 1er doch höchstens insoferne auffällig, als hier nicht wie in dem soeben besprochenen Falle der Wahl des Patrons anheim- gestellt wird, ob er den Kindern ein Erbrecht zugestehen wolle oder nicht , erscheint diese Regel der Mutter gegen- über allerdings bedenklich, und sie wird dieses noch in er-

Maurer: Die Freigelassenen nach altnorwegischem Rechte. 79

höhtem Masse durch den sofort folgenden zweiten Satz, welcher stillschweigend voraussetzt, dass auch in dem um- gekehrten Falle, da der Mann sein Bier gehalten, die Frau dagegen das ihrige nicht gehalten hat , die Kinder an und für sich beiden /Eltern gegenüber erbunfähig sind , jedoch ausdrücklich bemerkt, dass sie beiden gegenüber erbfähig Averden , wenn der Patron der Frau auf sein Erbrecht ver- zichtet. Es scheint , dass man durch diese Unterscheidung der hervorragenden Stellung des Mannes in der Ehe llech- nung tragen wollte; streng construirbar dürften jedoch die zu solchem Behufe getroffenen Bestimmungen nicht sein. Ungemein schlicht und einfach nemen sich dieser ebenso spitzfindigen als verworrenen Casuistik der G[>L. gegenüber die einschlägigen Bestimmungen der Fr[jL. aus; sie lauten : ^) ,,en ef leysingi tekr konu, hvärt sem hann tekr lejsingju eSa ärborua, hverfa 2. lutir bseSi gsezlu ok arfs undir fö6ur ok undir skapdröttinn hans, en |jri6jüngr undir mö5ur, ok {)au ör {)yrmslum, er til mö5ur hverfa, ef hon er är- borin". Darnach sollen also, wenn ein Freigelassener heirathet , dessen Kinder zu '^/3 ihm und seinem Patrone zufallen, dagegen zu ^3 ^^'^ Mutter, und zwar sowohl was das Erbrecht als was die Verpflegung betrifft. Diese Regel wird ganz gleichmässig zur Anwendung gebracht , möge nun die Mutter gleichfalls eine Freigelassene, oder aber vollfreien Standes sein. Die Bemerkung endlich, dass die der Mutter zufallenden Kinder von den l>y.rmslir frei werden sollen, wenn sie selbst vollfrei ist, zeigt einmal, dass die Theilung auf die Kinder selbst und nicht blos auf die Kosten ihrer Verpflegung sich beziehen sollte, und lässt weiterhin erkennen, dass die ganze Vorschrift sich zunächst auf Frei- gelassene niederer Ordnung bezog , womit natürlich nicht ausgeschlossen ist , dass sie auch auf Freigelassene höherer

1) FriL., IX. §. 11.

80 Sitzung der philos.'phüol. Classe vom 9. Februar 1878.

Ordnung analoge Anwendung finden mochte. Der für die Vertheilung der Kinder aufgestellte Massstab war aber der- selbe, welcher von den Frt)L sowohl als von den G{>L. für die Betheiligung der Ehegatten am gemeinsamen Vermögen festgehalten wurde, soweit nicht etwa vertragsweise ein An- deres ausbedungen war, ') und ist demnach die Meinung der Bestimmung zweifellos die, dass die Kinder als Last des Vermögens nach demselben Massstabe vertheilt werden sollten wie das Vermögen selbst.

Nachdem nunmehr die Rechte und Pflichten der beiden Classen von Freigelassenen besprochen worden sind, kann sofort an die Deutung zweier bisher noch unbesprochener Ausdrücke herangetreten werden, welche mit der Unterschei- dung dieser beiden Classen zusammenzuhängen scheinen, und deren richtige Deutung die bisherigen Angaben über diese einigermassen zu vervollständigen verspricht, der x\usdrücke {»yrmslamenn nnd vänarmenn nämlich, welche übrigens beide ausschliesslich den FrJ)L. und dem älteren Stadtrechte angehören. Unter den Pyrmslamenn wird man schon von Vornherein geneigt sein diejenigen Leute zu verstehen, welche ,,i l>yrmslum" zu einem Herrn stehen , und die ge- nannten Rechtsbücher bestätigen in der That diese Ver- muthung. Wenn nämlich die Fr^L. unter den Leuten, die nicht über einen Mann zu Gericht sitzen dürfen, dessen {)yrmslamenn nennen, ^) so wird man sich daran zu er- innern haben, dass die Gf)L. zu den f)yrmslir, welche der Freigelassene geringerer Ordnung seinem Freilasser gegen- über zu beobachten hat, auch die Verpflichtung zählt: „at setja eigi dom annarra ä moti honum". Wenn ferner die- selben Fr{>L. den König anweisen,^) wenn er gegen Jemanden

1) ebenda, XI, §. 6 u. 8; G))L., §. 53 u. 64.

2) Prl)L., X, §. 14; vgl. GlL., §. 66.

3) Fr].L., IV, §. 4; XV, §. 1.

Maurer: Die Freigelassenen nacli altnonoegischem Rechte. 81

wegen Landesverratlis klagen will, mit der Klagestellung feinen Standesgenossen des Angescliuldigten zu beauftragen, der zur hir6, d. h. Dienstmannschaft gehört, jedoch für den Fall, dass die Klage gegen leysingjar oder gegen I>yrmslamenn geht, ihn ermächtigen, die Klageführung einem Bauernsohne zu übertragen, falls ein solcher in der hir6 zu finden ist, so werden dabei nicht nur die leysingjar und die f)yrmsla- menu gemeinsam als Leute geringeren Standes den freige- boreneu Bauern gegenübergestellt, sondern sie werden auch unter sich unterschieden, da die Zusammenstellung beider Ausdrücke doch nicht wohl tautologisch gemeint sein kann. Bei Besprechung der Verbalinjurien schiebt ferner dasselbe Rechtsbuch die mehrfach besprochene Regel, dass alle Leute ihre Busse ,,silfrmetit" erhalten sollen, mit Ausname der {)yrmslamenn, ein, nachdem zuvor die Bussbeträge des höldr, ärborinn maSr, reks{>egn und leysmgjasonr angegeben wor- den waren, aber ehe noch die Ansätze für die Freigelassenen selbst besprochen sind ; ^) die Vermuthung liegt nahe, dass dieser Ort für die Einschiebung darum gewählt wurde, weil gerade hier die Grenze zwischen den {)yrmslamenn und den übrigen Freien lag, und dass die Besprechung des Freige- lassenen, der sein Freilassungsbier gehalten hat, nur darum hinter statt vor das Einschiebsel zu stehen kam , weil um der Vereinfachung des Ausdruckes willen von beiden Classen der Freigelassenen in einem Satze gehandelt werden wollte. Wenn im Stadtrechte nach Besprechung der verschiedenen Busssätze, welche beiden Classen von Freigelassenen zu- kommen, der Satz folgt : ,,en {>yrmslamenn allir skulu {)yrmazt vi6 skapdröttinn sinn jafnt i kaupängi sem i heraSi'V) so kann derselbe doch wohl nur auf die kurz zuvor bespro- chenen Freigelassenen geringerer Ordnung bezogen werden.

1) FrJL., X, §. 35; BjarkR., III, §. 162.

2) BjarkR., II, §. 47.

[1878 I. Philos.-philol.-hist. Cl. 1.]

82 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 9. Februar 1878.

Endlich die Bestimmung, dass vagabundirende Bettler, welche keine I>yrmslamenn sind, für den Fall, dass sie arbeitsfähig und somit nicht zum Betteln gezwungen sind, in eine Busse von 3 Mark verfallen und für diesen Betrag in Schuldhaft genommen werden sollen,^) findet ihre Erklärung ebenfalls wider ganz naturgemäss unter der Voraussetzung, dass der f)yrmslama8r als ein Freigelassener geringerer Ordnung auf- zufassen ist, dessen Versetzung in die Schuldhaft mit den Rechten unvereinbar ist, welche dem Patrone ihm gegen- über zustehen, während zugleich die Alimentationspflicht und Schutzgewalt eben dieses Patrons die eigene Verschul- dung des Mannes im gegebenen Falle ausscbliesst. Man wird gegen diese Schlussfolgerung nicht einwenden dürfen, dass an ein paar weiteren Stellen, welche einer soeben er- wähnten Angabe sich anschliessend aussprechen: ,,at silfr- metinn skal arborins manns eyrir allr i mannhelgi , nema {>yrmslamanna'',^) ,,en silfrmetit er ärborinna fe, en sakgilt f)yrmslamanna fe",^) die ärbornir menn den I>yrmslamenn in einer Weise gegenübergestellt werden, welche, wenn der Gegensatz als ein erschöpfender genommen werden will, auch den leysingi, den leysingjason, und sogar den reks^egn zu diesen letzteren zu zählen nöthigen würde; es scheint vielmehr dabei ein ungenauer Gebrauch der Bezeichnung ärborinn maSr vorzuliegen, von welchem sich auch sonst Spuren nachweisen lassen.*) Beachtenswerth bleibt aber die in Bezug auf die Busszahlung aufgestellte Regel, welche da- durch nur in ein helleres Licht gerückt wird, dass bezüglich einzelner Bussfälle umgekehrt gesagt wird: „en {>at skal Vera allt silfrmetit", ^) oder auch : „ok sakgilt allt , nema

1) Fr])L., X, §. 39; BjarkR., III, §. 163.

2) Fr5L., IV, §. 45.

3) ebenda, X, §. 46.

4) z. B. ebenda, IX, §. 10.

5) ebenda, IV, §. 49.

Maurer: Die Freigelassenen nach altnonvegis ehern Hechte. 83

lögfest se'V) ^i« ^gl- ^^- ^'^i^ wissen nämlicli aus den Ge- schichtsquellen, dass bereits zu K. Magnus Erlingsson's Zeit der sakgildr eyrir nur noch halbsoviel galt als der silfr- metinn eyrir; ^) die Verschiedenheit der bei beiden Classen von Freigelassenen anzuwendenden Berechnungsweise hat somit zur Folge, dass die Busse des Freigelassenen geringerer Ordnung bei gleicher Angabe ihres nominellen Betrages effectiv stets nur halb so hoch sich beläuft als die Busse der Freigelassenen höherer Ordnung.^) Mag sein, dass es damit zusammenhängt, wenn bei den Bussangaben der Fr{)L. zumeist die beiden Classen der Freigelassenen nicht mit gesonderten Ansätzen bedacht werden ; zu der mehrfach ausgesprochenen Regel, dass die Busssätze der verschiedenen Stände im Verhältnisse von 2:3 ansteigen sollen,^) würde diese Anname freilich wenig passen. Die vdnartnenn wer- den nur an zwei Stellen der Fr{)L. genannt. Das einemal wird bei Erörterung der Frage, wie der Patron sein Recht gegenüber dem Freigelassenen niederer Ordnung zu verfolgen habe, wenn dieser sich seiner ,,vörn" zu entziehen sucht, und zwar unmittelbar nachdem ausgesprochen worden war, dass der sachfällige Freigelassene sein ganzes Vermögen und eine Busse von 3 Mark verwirkt habe, und in Schuld- haft zu nemen sei, bis er die letztere abverdient habe, sofort beigefügt, dass es ebenso ,,um vänarmenn" zu halten sei ; ^) die zweite Stelle aber bestimmt, dass der Schiffsherr, welcher ein Weib ausser Lands bringt , „er vänarmaÖr manns er, eSa leysingja manns", dafür dem Herrn dieses Weibes 12 Unzen büssen, und alles Gut ersetzen müsse,

1) ebenda, XIII, §. 15.

2) Heiraskr. Magnüss s. Erlingssonar, cap. 16, S. 792; Fagrsk., §. 26.8, S. 179, u. dgl. m.

3) vgl. Gjessing, S. 293.

4) siehe oben, S. 39—40.

5) FrjL., IX, §. 10.

6*

84 Sitzung der philo s.'plülol. Classe vom 9. Februar 187S.

welches die Freigelassene erweislichermassen besessen hatte. ^) Hiernach ist klar, dass unter den vänarmenn Leute za ver- stehen sein müssen, deren Stellung sich mit der der Frei- gelassenen einigermassen berührt, und welche zumal wie diese durch die Rechte eines Herrn in der Freiheit ihrer Be- wegung einigermassen beschränkt sind, während sie doch an- dererseits Vermögen besitzen und verwirken mögen. Ich kann hiernach nicht mit Joh. Fritzner und GuSbrandr Viorfüsson an einen Bettler, Almosenempfänger oder zu verpflegenden Armen denken, obwohl Redensarten wie ,,ganga ä van", „gänga meS vänarvöl", „bera vänarvöl" allerdings eine solche Deutung nahe legen; ebensowenig möchte ich aber auch mit Gjessing, welcher sich am Einlässlichsten mit dem Ausdrucke befasst hat, ^) diesen auf die Schuldknechte oder auf die Austrägler beziehen , sondern , einer anderen von dem Letzteren ge- wiesenen Spur folgend, glaube ich in denselben lediglich die höhere Classe der Freigelassenen erkennen zu sollen. Im isländischen Rechte wird der Ausdruck arfvän, was auch seiner Etymologie völlig entspricht, schlechtweg für die Anwartschaft auf eine Erbschaft gebraucht ; ^) in den Frt)L. aber steht derselbe einmal speciell für das eventuelle Erb- recht, welches dem Freilasser und seiner Nachkommenschaft gegenüber dem Freigelassenen und seiner Descendenz bis zum 8ten Grade einschliesslich zusteht,*) und in den G{>L. wird in diesem letzteren Sinne sogar einmal das einfache ,,von" gebraucht.^) Hiernach mochten als vonarmenn recht wohl diejenigen Freigelassenen sammt ihrer Nachkommen- schaft bezeichnet werden, welche ,,6r f)yrmslum" sind, und somit nur eben noch einem subsidiären Erbrechte ihres

1) ebenda, §. 16.

2) Gj es sing, S. 256—60.

3) z. B. Kgsbk., §. 123, S. 236; ArfaJ., cap. 10, S. 200-201.

4) PrI.L., IX, §. 11.

5) G5L., §. 63.

Maurer: Die Freigelassenen nach altnorwegischem Beeilte. 85

Freilassers und seiner Descendenz nuterliegen; wird doch auch in einem schwedischen Rechtsbuche der Ausdruck „BGgha van til fostra" für das Recht eines Herrn an seinem Unfreien gebraucht , und von Schlyter gerade aus des Ersteren Anwartschaft auf dessen Erbe erklärt.^)

Kurz zusammengefasst ist das Ergebniss der bisherigen Untersuchung folgendes. Die sämmtlichen norwegischen Provincialrechte unterscheiden zwei Classen von Freige- lassenen. Der geringeren Classe von solchen fehlt die volle Freizügigkeit , die Verehelichuugsbefugniss , die freie Ver- fügung über das eigene Vermögen , sowie das gegenseitige Erbrecht unter den ^Eltern, Kindern und Geschwistern; sie unterliegt ferner den als |>yrmslir bezeichneten Verpflich- tungen gegenüber dem Freilasser und seiner Nachkommen- schaft, sowie einer Schutzgewalt desselben, während sie zu- gleich in Bezug auf Wergeid und Busse, dann in einer Reihe von anderen Beziehungen, in welchen sich die Ab- stufung der Stände geltend zu machen pflegt, entschieden zurückgesetzt erscheint. Die höhere Classe derselben ist dagegen von den {)yrmslir sowohl als der vorn befreit, ge- niesst der Freizügigkeit, Verehelichuugsbefugniss und des freien Verfüguugsrechtes über ihr Vermögen, sowie eines Erbrechtes, welches allerdings auf den ersten Grad der Ver- wandtschaft beschränkt ist; sie unterliegt aber noch einem subsidiären Erbrechte des Freilassers und seines Hauses, welchem hinwiderum auch eine subsidiäre Alimentationspflicht entspricht, und steht in Bezug auf die Standesrechte zwar auch noch den vollfreien Leuten nach, aber doch entschie- den über die niedere Classe der Freigelassenen emporgerückt. Die BJjL. und E^L. bezeichnen dabei die Freigelassenen niederer Ordnung als frjälsgjafar , und die Freigelassenen höherer Ordnung als leysingjar, während die G{)L. und Fr{)L.,

1) vgl. Schlyter', s. v. van.

86 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 9. Februar 1878.

sowie das Stadtreclit die letztere Bezeiclmung für beide Classen brauchen ; doch deuten einzelne Spuren in den Fr{)L. und im BjarkR. darauf hin, dass jene erstere Terminologie früher auch im Drontheimischen üblich gewesen war, und hier kommt überdiess auch wohl die Bezeichnung {)yrmsla- menn für die geringere, und die Bezeichnung vanarmenn für die höhere Classe der Freigelassenen vor. Der Unter- schied zwischen beiden Classen beruht dabei nach den G{>L., FrJjL. und dem BjarkR. darauf, dass die niedere Classe aus den Freigelassenen besteht, welche ihr Freilassungsbier noch nicht gehalten haben, die höhere dagegen aus denen, w^elche dasselbe gehalten haben; jedoch gehört zu der ersteren Classe auch noch der Sohn, oder sogar der Sohn, Enkel und Urenkel des ursprünglich Freigelassenen, wogegen dessen Enkel, beziehungsweise Urenkel auch ohne Haitang eines Freilassungsbieres in die höhere Classe übertritt, und zu dieser höheren Classe zählt sodann noch die weitere Descendenz bis zum 8ten Grade einschliesslich, sodass erst mit dem 9ten Grade der beiderseitigen Nachkommenschaft die Beziehungen zwischen dem Hause des Freilassers und dem Hause des Freigelassenen völlig erlöschen. Dem gegen- über lassen die Bt)L. und El>L. nicht erkennen, auf welche Momente sich bei ihnen die Scheidung beider Classen stützte, wenn sie auch andeuten, dass auch bei ihnen die Zugehörig- keit zu denselben in gewissem Umfange auf die Nach- kommenschaft des Freigelassenen sich erstreckte; als wahr- scheinlich wird indessen immerhin bezeichnet werden dürfen, dass auch in der östlichen Hälfte des Reichs die Verhältnisse beider Classen änlich geordnet gewesen sein werden wie in der westlichen. Nicht verkennen lässt sich übrigens, dass in den Gl>L. und Fr{)L. die Scheidung der beiden Classen sich nicht mehr mit derselben Schärfe ausgeprägt zeigt, wie in den B|>L. und Ef>L., soferne die niedere Classe dort bereits mehr- fach mit der höheren verschmolzen erscheint; doch scheint

Maurer : Die Freigelassenen nach altnorwegischem Rechte. 87

sich die Gleichstellung beider zunächst auf die Punkte be- schränkt zu haben, welche die Standesrechte als solche be- trafen, während das Verhältniss des Freigelassenen zu seinem Freilasser von ihr noch unberührt blieb, und mag gerade hiemit das Aufkommen der von dieser letzteren Seite her- genommenen Bezeichnungen {>yrmslamenn und vänarmenn zusammenhängen. Endlich entwickelt sich aber auch noch innerhalb der höheren Classe eine Bevorzugung der leys- mgjasjnir vor den lejsingjar selbst, welche, durch die un- organische Beschaffenheit der den ersteren zugestandenen Bassbeträge als Erzeugniss einer späteren Zeit gekennzeichnet, auch ihrerseits ein Streben nach allmäliger Annäherung der Freigelassenen an die Freigeborenen erkennen lässt.

Sitzung vom 9. Februar 1878.

Der Classensekretär legte eine Abhandlung des Herrn F. G. ünger vor:

„Zum Kalender des Thukydides.'^

Zwei in den Sitzungsberichten für 1875 von mir ver- öffentlichte Abhandlungen; Zur Zeitrechnung des Thukydides (I, 28 ff.) und Der attische Kalender während des pelopon- nesischen Krieges (II, 1 ff.) , sind mittlerweile in Bursians Jahresbericht über die Fortschritte der classischen Alter- thumswissenschaft von Holm (Jahresb. über Sicilien 1875. n, 88), Alfr. Schoene (Jahresb. über Thukydides 1875. I, 855) und Volquardsen (J. üb. griechische Chronologie 1876. I, 412) einer Beurtheilung unterzogen worden ; zugleich hat U. Köhler in seiner trefflichen Bearbeitung der attischen Inschriften amtlichen Charakters aus dem IV. I. Jahrh. (Corp. inscr. att. II, 1. 1877) das urkundliche Material derart verbessert und vermehrt, dass die Chronologie auch der vorhergegangenen Zeit dadurch erheblich gefördert wird. Ich halte es für nothwendig, die Ergebnisse chronologischer Untersuchungen , sofern dieselben allgemeiner , principieller Natur sind und von ihrer Annahme oder Verwerfung die Behandlung auch anderer als der zunächst besprochenen Fragen abhängt, selbst einer endgiltigen Entscheidung mit- zuzuführen und sie entweder nach bestem Gewissen zu

Unger: Zum Kalender des Thukydides, 89

stützen und aufrecht zu halten oder begangenen Irrthum offen einzugestehen, und erlaube mir daher hier vorzulegen, was ich in beiden Beziehungen zu sagen habe.

In dem ersten der beiden Aufsätze wird die Ansicht durchgeführt, dass Thukydides den Anfang seiner Kriegs- jahre und Sommersemester nicht, wie man bisher glaubte, an die Naturzeit des Ueberfalls von Plataia, mit welchem der peloponnesische Krieg anhob, und an den Frühlings- eintritt (mit welchem jener Ueberfall gar nicht einmal zu- sammentraf), sondern an das Kalenderdatum desselben, Ende Anthesterion, angeknüpft hat. Nach moderner Zeitrechnung würde das natürlich keinen Unterschied ausmachen; die griechischen Monate waren aber, wie bekannt, nach dem Laufe des Mondes gerichtet, der Neumond sollte auf den ersten Monatstag treffen und da das gemeine Mondjahr 354 oder 355, das dreizehnmonatliche oder Schaltjahr aber 384 Tage hielt, so mussten die Monatstage in jedem Jahre auf einen andern Zeitpunkt des Natur- und Sonnenjahres fallen, der viertletzte oder letzte Anthesterion also sein zeitliches Verhältniss zum Frühlingsanfang mit jedem Jahre wechseln. Dieser Grundgedanke des ersten Aufsatzes hat, wenn wir die Uebereinstimmuüg der drei Berichterstatter dahin aus- legen dürfen, allgemeine Billigung gefunden.

Es mag befremden, wenn andrerseits der Anfang des Wintersemesters für Thukydides nicht auch auf ein kalen- darisches Datum, sondern auf Naturzeit, die Herbstnacht- gleiche, gelegt wird, und Volquardsen hat denn auch ernste Bedenken gegen solche Inconsequenz geäussert: es werde, glaubt er, auf eine nochmalige genauere Prüfung ankommen, ob nicht die Annahme sich rechtfertigen lasse, dass der Geschichtschreiber im Gemeinjahr 6 und im Schaltjahr 6V2 Monate auf jedes Semester gerichtet habe. Es ist nicht recht deutlich, ob dieser Annahme die verlangte genauere Prüfung vorausgegangen ist oder ob letztere anzustellen mir

90 ISitzung der philos.-philol. Classe vom 9. Februar 1878.

zugemuthet wird. In jenem Falle wäre es gut gewesen die. Elemente der Prüfung gleich mitzutheilen ; in diesem darf ich erinnern, dass die verlangte Probe schon gemacht und Zeitr. d. Thuk. p. 69 vorgelegt ist. Im zwölfmonatlichen Jahr würde das Wintersemester bei kalendarischer Epoche desselben am Ende Metageitnion begonnen haben ; aber so- wohl 418 als 413 v. Chr. begann es erst in der Mitte des nächstfolgenden Monats Boedromion , also mindestens 6V2 anstatt 6 Monate nach dem Anfang des Sommersemesters und Kriegsjahrs. Wie Thukydides zu jener Inconsequenz gekommen und womit sie zu entschuldigen ist, habe ich a. a. 0. auseinandergesetzt; die Gleichheit der beiden Se- mester im Ungefähren und durchschnittlich bleibt gewahrt: denn das Sommersemester beginnt theils mit theils kurz vor theils bald nach der Nachtgleiche, dem Frühlingsanfang des Thukydides, im Durchschnitt also um dieselbe. Der früheste Jahres- und Sommersanfang fällt 28 Tage vor der Gleiche (414 v. Chr.), der späteste 14 Tage nach ihr (im J. 430).

Den bürgerlichen Tag beginnt Thukydides, wie ich an der Geschichte des Untergangs der sicilischen Expedition zu zeigen gesucht habe, mit Sonnenuntergang ; nach Plinius und Censorinus war das allgemein attische Rechnung und sie entspricht, wie das gleiche Verfahren der Araber und Hebräer, dem Umstände, dass die ganze Zeitrechnung au den Lauf des Mondes geknüpft war. Holm belehrt mich, dass im Süden die Nacht viel schneller auf den Sonnen- untergang folgt als in meiner Uebersetzung von f-iixQi oipe Thuk. 7, 83 (Zeitr. d. Thuk. p. ^^: bis zum Eintritt der Nacht) vorausgesetzt wird und verwirft darauf hin meine ganze Tagrechnung. Diese steht und fällt aber nicht mit meiner irrigen Auffassung jener Stelle und Volquardsen hat treffend bemerkt , dass die Uebersetzung : „bis tief in die Nacht" ebenso statthaft ist.

Unger: Zum Kalender des ThuJcydides. 91

Dadurcli dass der Gescbichtschreiber das Kriegsjahr und Sommersemester zu Ende des Monats Anthesterion an- fangen, in vielen Fällen aber zugleich erkennen lässt, ob dieses Datum dem Frühlingsanfang d. i. der Nachtgleiche vorausgeht oder nachfolgt, gewinnen wir neue Aufschlüsse über die Naturzeit und Dauer der einzelnen Kalenderjahre und damit ein Correctiv der von Redlich, E. Müller und Boeckh aufgestellten Entwürfe des attischen Kalenders jener Zeit. Dies ist die Grundlage , auf welcher ich in dem andern Aufsatze diesen Kalender wiederherzustellen suche, und demselben wird der Boden entzogen , wenn der ent- schiedene Protest , welchen Volquardsen gegen die von mir aus den Erwähnungen des Frühlings oder ihrem Fehlen bei Thukydides gezogenen Schlüsse einlegt, begründet ist. Bei näherem Zusehen findet sich jedoch, dass Volquardsen meine Darlegungen missverstanden und Ansichten bekämpft hat, welcbe ich gar nicht aufgestellt habe, nämlich die, dass Thukydides, wo er am Beginn des Jahres den Zusatz «,w« t(7) 7]qi oder afta to) iqQt aq%o^ieviü mache, den Frühlings- eintritt früher setze als den Beginn des Kriegsjahres und Sommersemesters und, wo jener Zusatz fehle, später.

Die erste dieser zwei mir zugeschriebenen Behauptungen: der Zusatz von ccfxa %u) v^ql (aQxof.i6vcü) beim Jahresanfang des Thukydides deute auf Eintritt des Frühlings vor Anfang des Kriegsjahres hin, involvirt eine Ungereimtheit und es wundert mich, dass Volquardsen nicht, anstatt durch Bei- spiele diesen meinen angeblichen Irrthum zu widerlegen, einfach auf die Thatsache hingewiesen hat, dass die Er- wähnung des Frühlingsanfangs in solchen Fällen eben beim Anfang des Kriegsjahrs und Sommersemesters und nicht vielmehr im Wintersemester angebracht ist. Auf p. 32 ff. meiner Arbeit über die Zeitrechnung des Thukydides, wo diese Behauptung stehen soll, sage ich nichts dergleichen; die dahin bezügliche Stelle lautet p. 32: „zou e7ttyLyvo(.ievov

92 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 9. Februar 1878.

d-lqovg bezeichnet bloss : im Laufe des neuen Jahres. Hieraus folgt, dass der eigentliche Anfang des neuen Soramers und Jahres in diesen Fällen" nämlich wo CLf-ia. 2ro> rjQi («^/o^6Vw) hinzugefügt ist ,,der Frühlingsnachtgleiche (wenn auch 8, 61, vgl. p. 29, nur sehr kurze Zeit) vorausgegangen war.'* Da Frühlings Anfang, wie Volquardsen mit mir annimmt, bei Thukydides mit der Nachtgleiche zusammenfällt und das für die bezeichneten Fälle von mir wirklich behauptete Vorausgehen des Jahresanfangs vor der Frühlingsnachtgleiche gerade das Gegen th eil von dem angeblich von mir ausge- sagten früheren, vor Jahresanfang erfolgten Eintritt des Frühjahrs ist, so erhellt mit Evidenz, dass Volquardsen meine Ansicht in ihr gerades Gegentheil verkehrt hat.

Wie dieses Quidproquo entstanden ist, erkennt man aus dem Citat, welches gegen mich in's Feld geführt wird: es ist gerade das , welches ich selbst an der so eben aus- geschriebenen Stelle angeführt habe. Am schlimmsten, sagt V., stehe meine Sache Thuk. 8, 61, wo ccf-ia tw tjql Evd^vg aQyo(.dv(i) am Beginn des Kriegsjahres beigefügt sei, nach meiner Lehre aber der Eintritt des Frühjahrs diesem vorausgegangen sein niüsste. Der viertletzte Anthesterion (mein Datum des thukydideischen Jahranfangs) falle bei mir wie bei Boeckh im J. 412 auf den 5. oder 6. März, aber nach der richtigen, von mir selbst Zeitr. p. 29 gegebenen Rechnung seien von der Wintersonnwende bis zu diesem Jahranfang mehr als 90 Tage, also eine weit über den 6. März hinausführende Zeit vergangen ; meine Theorie der thukydideischen Jahresrechnung sei demnach nicht mit Boeckhs, sondern nur mit Redlichs Fixirung von Ol. 91,4. 413/2 und 92, 1. 412/1 vereinbar. So Volquardsen, in dessen Ausführung alles richtig ist, mit Ausnahme eines einzigen aber wesentlichen Punktes: Thukydides spricht 8, 61 vom Frühlingsanfang des J. 411, nicht 412, und vom Ende nicht des neunzehnten Kriegsjahres, wie V. meint, sondern des

ünger: Zum Kalender des Thukydides. 93

zwanzigsten; von ersterem war Thuk. 8, 7 die Rede. Vol- qnardsen hat das Ende des neunzehnten Kriegsjahres, welches auf deu 5. oder 6. März 412 fällt (Att. Kai. p. 50), mit dem des zwanzigsten verwechselt; dieses und der Anfang des 21. Jahres entfiel (Att. Kai. p. 51) auf den 24. März 411, der Frühlingsanfang aber auf den 26. März 411, also, wie ich erklärt habe, nur wenige Tage später. Mit der falschen Prämisse fallen natürlich auch die Folgerungen, welche daraus auf die Fixirung von Ol. 91, 4 und 92, 1 gezogen werden ^).

Die andere mir zugeschriebene und als unrichtig ange- fochtene Behauptung : wo die Formel af^ia reo ? ql (ccQxoixhcp) am Anfang des Jahres fehle, sei der Beginn des Frühlings sicher erst nach dem des Kriegsjahres erfolgt, stimmt un- gefähr mit Zeitr. p. 35 a. E. überein, wo ich (die Stelle muss ausgeschrieben werden, weil es sich um richtige Auf- fassung der Worte handelt) Folgendes sage : „Hat in diesen drei Fällen das Fehlen der Formel af,ia fjQi a()xof-ievip bei Erwähnung eines am Anfang des Kriegsjahres stattgehabten Ereignisses seinen Grund darin , dass das Jahr schon vor dem Eintritt des Frühliugs begonnen hatte , so'* u. s. w. Es war aber erstens zu beachten, dass ich diesen Satz auf gewisse Fälle eingeschränkt, gleich nachher p. 36 andere aufgeführt habe in welchen Thukydides den Frühlingseintritt in dem vorhergehenden Wintersemester erwähnt, und dess- wegen nicht aus dem Fehlen jener Formel beim Sommers- und Jahresanfang auf einen erst nach diesem erfolgten Ein- tritt des Frühlings geschlossen werden darf; in der Allge- meinheit, welche der Satz bei V. bekommen hat, habe ich ihn nicht ausgesprochen. Davon abgesehen, halte ich ihn

1) Vom 25. Dezember 412 bis zum 24. März 411 sind 89 Tage ; dazu kommen 2 (oder etwas mehr) Tage bis an (oder in) den Anfang des Frühlings, und die Unbestimmtheit des Ausdrucks: um die Wintersonn- wende gestattet am Anfang noch mehrere Tage hinzuzufügen.

94 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 9. Februar 1878.

aufrecht und wenu Volquardsen ihn bekämpft, so geschieht es nur dadurch , dass er an die Stelle der bestimmt und unmissverständlich ausgesprochenen Worte: „Bei Erwähnung eines am Anfang des Kriegsjahres stattgehabten Ereignisses" den Ausdruck: ,,am Anfang des Jahres" setzt und diesen nun wider alles Erwarten so behandelt, als sei er gleich- bedeutend mit dem Anfang der Jahrbeschreibung. Ein Er- eigniss aus dem Anfang des Jahres wird immer auch am An- fang der Jahresgeschichte stehen, aber nicht umgekehrt wird der Anfang einer Jahrbeschreibung auch jederzeit ein solches Ereigniss verzeichnen, aus dem einfachen Grunde, weil der Geschichtschreiber oft aus den ersten Monaten des Kriegs- jahres nichts Nennenswerthes zu melden hatte. Gerade von dieser Art aber sind die zwei Beispiele, mit welchen V. obigen Satz widerlegen will. Das eine ist Thuk. 2,71 tov (5' htiyiyvo^evov d^eqovg ol [IsXoitovvrjOLOL v.al oi ^vj.if.iaxoi lg (Äev Trjv y^TTixi^v ovy, eoeßaXov, loTQaxevoav (5' hcl JlXa- raiav. Das erste Ereigniss dieses Kriegsjahres, der Zug gegen Plataia, fiel, wie die Erklärer (vgl. Classen z. d. St.) bemerken, in den Juni, alöo zwei Monate nach dem Anfang des Jahres und einen Monat nach Frühlings Ende ; der viert- letzte Anthesterion Ol. 87, 3 entspricht dem 8. April 429 (nicht dem 9. April, s. Att. Kai. p. 11 Anm. 7) und die Grenze zwischen Frühling und Sommer bildete der Früh- aufgang der Pleiaden vor Mitte Mai. Zu dem andern Bei- spiel : 3, 89 Tov S' sfciyiyvof^evov d^iqovg IleXoTtoivriOLOt y,al 01 ^v^(.La%OL (A.e%()L (.liv rov loi)(.iov r^XO-ov cog ig Tt]v ^^ttiktjv ioßalovvTEg habe ich Att. Kai. p. 19 ausdrücklich bemerkt, dass in die Nähe dieser Jahresepoche (7. April 426, nicht wie Volquardsen mich rechnen lässt, 12. April) kein nennens- werthes Ereigniss fiel, und das erste nennenswerthe d. i. vom Geschichtschreiber einer Nennung gewürdigte , der Zug an den Isthmos, ist von mir Att. Kai. p. 16 und 49 ungefähr in den Mai gesetzt worden : da hier ebenso wie in dem erst-

Unger: Zum Kalender des Thukydides, 95

genannten Beispiel zu tov erciyiyvoixtvov d^lqovQ nicht evd^vg gesetzt ist, so habe ich dieses Ereigniss als ein nicht am Anfang des Kriegsjahres stattgefundenes betrachtet. Von meiner Seite war also , wie mir scheint , genug geschehen, um Missverständniss zu verhüten.

Auf Grund der Schlüsse, welche die Angaben über das Verhältniss des Frühlings zu dem kalendarischen Datum des Ueberfalls von Plataia und der Kriegsjahrepoche an die Hand geben, habe ich dieses Att. Kai. p. 10 fg. auf den viert- letzten Anthesterion bestimmt, mit der Bemerkung, dass es auch der drittletzte gewesen sein könne. Nachdem der gegen diese Schlüsse erhobene Widerspruch sich als unbegründet erwiesen hat, kann auch der mit diesem zusammenhängende Vorschlag, zu Boeckhs Datum des Ueberfalls, dem letzten Anthesterion zurückzukehren, nicht angenommen werden. Der Einwand , dass bei meinem Ansätze Thukydides seine Jahre nach einem bestimmten Monatsdatum berechnet und doch dasselbe nicht genannt haben würde, trifft auch den Ansatz Boeckhs , bei welchem Volquardsen das Datum in den Worten IIvd-oÖMQOv ezi reGoagag f.i^vag aqxovTog ^d-7]- vaioig Th. 2,2 vorzufinden glaubt. Dann würden wir ja den 1. Elaphebolion, nicht den letzten Anthesterion als das Datum ansehen müssen, was gegen Th. 2, 4 relevrcovrog tov firjvog la yiyv6(,isva riv streitet. Letzterer Ausdruck lässt von Hause aus die Wahl zwischen mehreren Tagen (Att. Kai. p. 10) und jener an sich ganz triftige Einwand Volquard- sens trifft zu, welchen Schlusstag des Anthesterion mau auch immer aufstelle: er fällt dem Geschichtswerke selbst zur Last und es ist keine andre Erklärung für diese Versäumniss aufzufinden als dieselbe, welche auf den auffallenden, von Thuk. 5, 20 ff. begangenen Widerspruch über die Zeit seiner Jahrepoche und auf so viele andere Unebenheiten anzuwenden ist: seinem Werke fehlt nicht bloss der Schluss, sondern die letzte Hand überhaupt, es ist nicht einheitlich redigirt.

96 Sitzung der philos.-phüol. Glasse vom 9. Februar 1878,

Eine andere Frage ist, wie man sich den so bestimmten Ausdruck reooaQag jurjvag erklären soll, Angesichts der That- sache, dass in Wirklichkeit mindestens ein Tag über vier Monate gewesen ist. Da es Thukydides ein Leichtes ge- wesen wäre, Gxeddv oder einen ähnlichen Ausdruck hinzuzu- fügen, so muss man hierin wohl eine Eigenthümlichkeit seines Sprachgebrauchs erkennen. Ebenso scheinbar bestimmt spricht er an den anderen Stellen, v/o Monate in Cardinal- zahlen angegeben sind: 2,65 UeQiKlrjg STreßlco Svo Iri] %at fÄTJvag t^; 5,25 s^l ttr^ Kai furjvag öeKa ajttoyj^vto ^.ir^ Inl Trjv exaze^cüv yrjv orgarevoaL ; 6,21 jurivcov TeooaQcov tcov X£if.iEQivwv \ 7,87 eSlöoGav exaGToj eicl oxtw (.ir^vag kotvXtjv vöaTog YML ovo xozvXag oItov. Niemand wird ernstlich be- haupten, dass die hier genannten Monate keinen Tag zu viel oder zu wenig gehabt haben und von den vier Winter- monaten ist es gewiss, dass genauer 4\'2 oder 3V2 zu sagen gewesen wäre ^). Wo es ihm um grössere Bestimmtheit des Ausdrucks zu thun ist, gibt er bloss Tage an, beschränkt aber diese Zählungs weise auf die Zehner : 2,57 rmlqag TEGGaQaxovra jualiGTa ev t^ yfj ttJ läxTi'/.fj eyevovTO ; 4,39 XQOvog 6 GvfÄftag syeveTO eßdo^r^v-ovra '^f.ieQat xat ovo ; 7,87 TjfXEQag Ißöo^r^yiovza rivag Sir^TriS^rjGav ccS^qool; 8,44 iqGvxcc- ^ov rnxeqag oydorjytovra ; vgl. 1,60. 2,19.

Ein erquicklicheres Thema als diese nothgedrungene Auseinandersetzung mit den an sich wohlgemeinten Ein- wendungen eines achtbaren Gelehrten ist die Betrachtung der Ausbeute, welche der neu erschienene Band der Inscrip- tiones atticae liefert. Das Hauptergebniss bilden neue Auf- schlüsse über die Einrichtung und Einführungszeit des von

2) Vom 10. November (Frühuntergang der Pleiaden) bis zur Friih- lingsnachtgleiche am 26. März; rechnete Thukydides den Vorfrühling {tiqos £ocq) als besondere Jahreszeit, so erstreckte sich ihm der eigent- liche Winter bis zum 23. Februar (Att. Kai. p. 41).

Vnger'. Zum Kalender des Thukydides.

97

Meton gescliafFenen 19 jährigen Schal tcy kl us. Ich stelle im Folgenden sämmtliche Archontenjahre der makedonischen Zeit nach olympischer und nach moderner Datirung zu- sammen, deren Eigenschaft als Geraein jähr von 12 oder als Schaltjahr von 13 Monaten nunmehr urkundlich feststeht, und vereinige sie in zv^ei metonische Cyklen. Da der erste metonische Cyklus Ol. 87,1. 432 v. Ch. begann und 19 Jahre umfasste, so war Ol. 110,4. 337/6 v. Ch. das erste Jahr des sechsten und 115,3.318/7 das erste des siebenten Cyklus.

I

110,4.337 Gemeinjahr

115,3.318

II

111,1.336

4.317

III

2.335

116,1.316

iV

3.334

2.315

V

4.333 Schaltjahr

3.314 Schaltjahr

VI

112,1.332 Gemeinjahr

4.313

VII

2.331 Gemeinjahr

117,1.312

VIII

3.330 Schaltjahr

2.311

IX

4.329 Gemeinjahr

3.310 Gemeinjahr

X

113,1.328

4.309

XI

2.327

118,1.308

XII

3.326

2.307

XIII

4.325 Gemeinjahr

3.306 Gemeinjahr

XIV

114,1.324

4.305

XV

2.323 Gemeinjahr

119,1.304 Gemeinjahr

XVI

3.322 Schaltjahr

2.303 Schaltjahr

XVII

4.321

3.302 Gemeinjahr

XVIII

115,1.320 Schaltjahr

4.301

XIX

2 319

120,1.300

Aus der Zeit zwischen 403 und 337 v. Chr. sind Ur- kunden mit Kalenderdaten , welche Aufschluss über den Charakter einzelner Jahre geben, nicht vorhanden; umge- kehrt gibt es zwar solche aus der Zeit nach 300, aber das Jahresdatum lässt sich wegen Mangelhaftigkeit oder gänz- [1878. I. Philos.-philol.-hist. Cl. 1.] 7

98 Sitzung der pMlos.-philol. Classe vom 9. Februar 1878,

liehen Fehlens des nöthigen Archontenverzeichnisses nicht fest bestimmen. Die obenstehender Zusammenstellung zu Grund gelegten Inschriften waren grossentheils schon früher bekannt und Boeckh hatte aus ihnen bereits den Schluss gezogen, dass Metons Cyklus im Jahre 330 v. Chr. zur Einführung gekommen ist. Vorsichtiger wird man sich dahin ausdrücken , dass der neunzehnjährige Schaltkreis spätestens 325 v. Ch. an die Stelle des achtjährigen getreten ist. Da 111,4.333 dreizehn Monate hatte, so müsste bei fortdauernder Geltung der Oktaeteris anch 113,4.325 ein Schaltjahr gewesen sein ; es war aber ein Gemeinjahr. Ein solches ist auch 118,3.306, während die oktaeterisch ent- sprechenden 114,3.322 und 112,3.330 den Schaltmonat ge- habt haben, und 115,1.320 hatte dreizehn, aber das zweimal acht Jahre spätere 119,1.304 nur zwölf Monate. Die Okta- eteris hat also zu dieser Zeit in Athen nicht mehr bestanden und dass die neunzehnjährige Schaltordnung an ihre Stelle getreten ist, bestätigt sich an der Gleichartigkeit sämmtlicher um 19 Stellen auseinander liegender Jahre, deren Charakter festgestellt ist: wie 333/2 so ist 314/3, wie 322/1 so 303/2 Schaltjahr ; als Gemeinjahre stehen einander gegenüber 329/8 und 310/9; 325/4 und 306/5; endlich 323/2 und 304/3.

Als wesentlich neues Ergebniss ist zwar nur eines zu verzeichnen, es darf aber als höchst wichtig angesehen werden. In dem von Emil Müller aufgestellten Entwurf des metonischen Cjklus, welchen ich als den neuesten und besten der vorhandenen der Vergleichung mit der Oktaeteris zu Grund gelegt habe (Att. Kai. p. 5 ff.), wird Jahr XIII als Schaltjahr und XIV als Gemeinjahr behandelt; die epigra- phischen Erhebungen der jüngsten Zeit lehren aber^ dass das umgekehrte Verhältniss stattgefunden hat^): Ol. 113,4

3) Auch Aug. Mommsens Entwurf und der von Ideler und Boeckh angenommene DodweH'sche behandeln Jahr XIII und XIV nicht anders

Unger: Zum Kalender des Thukydides. 99

325/4 V. Ch. war Gemeinjahr (Inscr. att. II, 1.82 Nr. 179), ebenso Ol. 118,3. 306/5 v. Ch. (Inscr. att. II, 1. 104 sq. Nr. 247 und 246). Aus diesem überraschenden Befund ist eine Reihe von Folgerungen zu ziehen.

Zunächst wird der Satz hinfällig, welchen E. Müller mit aller Energie und mit Gründen verfochten hat , welche schlagender Natur zu sein schienen: dass Metons attisches Jahr nie vor der Sonnwende begonnen habe. Wenn, wie angenommen werden muss, Jahr XIII des ersten Cyklus mit dem 4. Juli (oder einem der zwei umgebenden Julitage) 420 V. Chr. begonnen hat, so entfällt, da ihm nunmehr bloss 354, nicht 384 Tage zukommen, der Anfang von XIY auf den 23. Juni (bei Müller auf 23. Juli), also 5 Tage vor der Sonnwende. Wie Müllers Argumenten zu be- gegnen und wie der ganze Cyklus zu gestalten ist, kann hier nicht auseinandergesetzt werden; vorläufig handelt es sich nur um die Ergebnisse, welche mit der Frage nach dem Kalender des Thukydides zusammenhängen.

Boeckhs Annahme, dass die achtjährige Schaltordnung mindestens bis zum letzten von Thukydides behandelten Jahre 92,2.411 in Athen bestanden habe, wurde gegen E. Müller, nach welchem sie kurz vorher ausser Kraft gesetzt worden wäre, im Att. Kai. p. 30 ff. bestätigt. Jetzt lässt sich zeigen, dass die Oktaeteris noch mindestens dreissig Jahre länger gegolten hat. Die meisten Finsternissdata griechischer Astronomen im Almagest des PtolemaioS" sind auf die 76jährige Periode des Kallippos gestellt, welche aus Metons 19 jährigem Cyklus hervorgegangen war und mit Ol. 112,3.330 anfieng ; nur die drei ältesten, aus Ol. 99,2.383 und 99,3.382 genommenen Data werden, was ihr

als Scaliger-MüUer und wenn der von Petau-Biot aufgestellte das Rich- tige trifft, so ist desswegen kein Gewicht darauf zu legen, weil fast alle andere Schaltjahre in demselben falsch gestellt sind.

7*

100 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 9. Februar 1878.

Jahr betrifft, ia anderer Weise bezeichnet und zwar nicht, wie man nun erwarten sollte, als Jahr XII und XIIT des dritten, Ol. 96,3.394 beginnenden metonischen Cyklus son- dern nach den treffenden attischen Archonten. Schon dies konnte auf die Yermuthung führen, dass zur Zeit der Beob- achtung der neunzehnjährige Schaltkreis Metons noch nicht eingeführt war. Dies wird jetzt dadurch bestätigt , dass Ol. 99,3.382 bei Meton ein Gemeinjahr gewesen ist, während in Wirklichkeit, wie aus den Daten des Almagest bekannt ist, dasselbe vielmehr zu den Schaltjahren gehört hat. Die Oktaeteris ist demnach zwischen 381 und 325 v. Chr. ab- geschafft worden.

In der Zeit des archidamischen Krieges war die ein- malige Ausmerzung eines regelmässigen Schaltmonats im attischen Kalenderwesen ein dringendes Bedürfniss geworden; während Redlichs Entwurf der Oktaeteris darauf keine Rück- sicht nimmt, hat Boeckh die Vornahme der AusmerzuDg gegen das Ende jenes Krieges wahrscheinlich gemacht und im Att. Kai. p. 33 ff. ist sie nachgewiesen und zugleich gezeigt worden, dass die Reihenfolge der Gemein- und Schaltjahre, welche Boeckh unverändert beibehält, jetzt eine andere geworden ist, als sie vor der Correction gewesen war. Dies wird nunmehr durch den so eben nachgewiesenen Umstand, dass OL 99,2.383 Gemeinjahr und 99,3.382 Schalt- jahr in der Oktaeteris gewesen sind, in willkommener Weise bestätigt : die um vier Oktaeteriden entfernten Jahre 91,2.415 und 91,3.414 haben in meinem Entwurf denselben Charakter wie jene, während bei Boeckh und Redlich keines von beiden dreizehn Monate hält.

Noch wichtiger ist die besprochene Berichtigung des neunzehnjährigen Schaltkreises für die Zeiten, in welchen derselbe amtliche Geltung gehabt hat ; sie bietet einen sicheren Anhalt zur Jahrbestimmung der Archonten aus der Zeit von 300 V. Ch. an, für welche uns kein zusammenhängendes Yer-

ünger: Zum Kalender des Thukydides. 101

zeichniss derselben mehr zu Gebot steht, und es Hesse sich z. B. zeigen, dass für 293—284 v. Ch. fast alle Archonten anders zu stellen sind als bisher geschehen ist. Dies nachzu- weisen soll bei einer anderen Gelegenheit versucht werden.

Historische Classe.

Sitzung vom 5. Januar 1878. Herr v. Döllinger hielt einen Vortrag:

„Ueber die Gefangennehmung und den Tod Bonifacius' YHI".

Sitzung vom 9. Februar 1878.

Herr v. Löher hielt einen Vortrag:

„lieber die Kämpfe Kaiser Friedrich's II. auf Cjpern".

Derselbe wird in den „Abhandlungen" veröffentlicht werden.

102 Einsendungen von Druckschriften.

Yerzeichiiiss der eingelaufenen Büchergeselienke.

Vom Verein für Geschichte der Deutschen in Böhmen in Prag :

a) Mittheilungen. Jahrgang XVI. Nr. 1. 2. 1877. 8".

b) Der Ackermann aus Böhmen. Herausgegeben von Job. Kniescheck. 1877. 8^

Vom historischen Verein von Oherpfalz in Begensburg : Verhandlungen. Bd. 32. Stadtamhof 1877. 8®.

Von der Gtesellschaft für Pommersche Geschichte in Stettin: 35. Jahresbericht, vorgetragen am 13. Mai 1868. 1869. 8^.

Vom 7c. statistisch-topographischen Bureau in Stuttgart:

a) Württembergische Jahrbücher für Statistik und Landes- kunde. Jahrg. 1877. 1877. 8 '^

b) Die Alterthümer in Württemberg von E.V. Paulus. 1877. 8'^

Von der archäologischen Gesellschaft in MosJcau: Drewnosti Trudy (Archäolog. Arbeiten) Tom. 7. 1877. 4^.

Von der B. Äceademia dei Lincei in Born: Atti. Anno 275. 1877 78. Transunti Vol. II. 1878. 4^.

Vom Comite Boyal d'histoire nationale in Turin:

Historise patrise monumenta. Tom. XVII. Codex diplomaticus. Ecclesiensis, Aug. Taur. 1878. Fol.

Einsendungen von Druckschriften. 103

Von der südslavischen Akademie der Wissenschaften in Agram:

a) Rad. Knjiga 40. 1877. 8^

b) Korijeni s rijecima od njih postalijemu hrvatskom ili srpskom jeziku napisao Gj. Daniele'. 1877- S'*.

Von der scMesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur in Breslau:

54. Jahresbericht f. d. J. 1876. 1877. 8^.

Von der Je. preuss. Akademie der Wissenschaßen in Berlin:

a) Corpus inscriptionum grsecarum. Vol. IV. 1877. Fol.

b) Abhandlungen aus dem Jahre 1876. 1877. 4".

c) Corpus inscriptionum latinarum. Vol. V. Pars. 2. 1877. Fol.

Von dem k. h. Hauptconservatorium der Armee in München:

Katalog über die im k. b. Haupt - Conservatorium der Armee befindlichen gedruckten Werke. 4. Supplement. 1877. 8^.

Von der Gesellschaft für bildende Kunst und vaterländische Alterthümer in Emden:

a) Verzeichniss der Gemälde in der Sammlung der Gesell- schaft. 1877. 8^

b) Verzeichniss der Alterthümer in der Sammlung der Ge- sellschaft. 1877. 8^

c) Katalog der Bibliothek der Gesellschaft. 1877. 8^

Vom akademischen Leseverein in Graz: 10. Jahresbericht f. d. J. 1877. 1877. 8^

Von der Accademia delle Scienze delVIstituto di Bologna: Rendiconto delle Sessioni. Anno 1876 77. 1877. 8.

Von der Universität in Upsala: üniversitets Avsskrift. 1876. 8^.

104 Einsendungen von Druckschriften.

Von der Boyal Society in Edinburgh: Proceedings. Session 1870 71. 1871. 8^

Von der Historical Society of Pennsylvania in Philadelphia:

The Pensylvania Magazine of History and Biography. Vol. I.

1877. 8^

Von der Historisch Genootschap in Utrecht:

a) Werken. Nieuwe Serie Nr. 25. 1877. 8^

b) Eegister op de onderwerpen behandeld in de Chronijk, Be- richten en den Codex diplomaticus. 1877. 8^.

Vom Institut national in Genf: Bulletin. Tome XXII. 1877. 8^

Von der k. Akademie der Wissenschaften in Kopenhagen:

a) Memoires. Classe des Lettres. Vol. V. 1877. 4^.

b) Oversigt over det Kgl. Danske Videnskabernes Selskabs. Forhandlinger 1 aaret 1877. 1877. S^.

Von der North- China Branch of the Royal Asiatic Society in

Shanghai :

Journal. New Series Nr. X u. XI. 1876—77. 8^

Vom Institut des langues orientales du Ministere des affaires etrangeres in St. Petersburg:

CoUections scientifiques I. II. 1877. 8®.

Von der American philölogical Association in Baltimore:

Proceedings of the 9. annual Session, held in Baltimore, July 1877. Hartford 1877.

Einsendungen von Drucl:schriften. 105

Vom Herrn Friedrich von Brnrenlacli in Wien:

a) Herder als Vorgänger Darwin's. Berlin 1877. 8''.

b) Gedanken über die Teleologie in der Natur. Berlin. 1878. 8^

Vom Herrn C. J. ScMyter in Lund: Glossarium ad Corpus juris Sueo-Gotorum antiqui. 1877- 4^.

Vom Herrn Franz Bücheier in Bonn:

a) Oskisclie Bleitafel hsg. von F. Bücheler. Frankfurt a. M.

1877. 8^

b) De cippo Abellano qusestio epistolica. 1877. 4^.

Vom Herrn Jides Oppert in Baris: La Chronologie de la genese. 1878. S*^.

Vom Herrn Giuseppe de Leva in Padua:

a) In morte di Vittorio Emanuele II primo d'Italia. Venezia

1878. 8^

b) Del movimento intellettuale d'Italia ne' primi secoli del medioevo. Venezia 1877. 4^.

Vom Herrn Franz Hoffmann in Würzhtirg : Philosophische Schriften. Bd. 5. Erlangen 1877. 8^

Vom Herrn Ch. Schoehel in Paris: La plus ancienne carte generale d'Amörique. 1877. 8^.

Von den Herren J. Oppert imd J. Menant in Baris: Documents juridiques de l'Assyrie et de la Chald^e. 1877. 8®.

Sitzungsberichte

der

königi. bayer. Akademie der Wissenschaften.

Historische Classe.

Sitzung vom 9. Februar 1878.

Herr Würdinger macht Mittheilungen :

,, lieber die Topf er'schen Materialien für die bayerische Kriegsgeschichte des 18. Jahrhunderts.

Bei dem Versuche, die in einer den Sammlungen des historischen Vereines von Oberbayern angehörigen Hand- schrift: „dem Tagebuche des Freireiters Franz Cura/^ eines Musterbildes dieser Gattung Krieger, in welchen allein noch der persönliche Muth des deutschen Landsknechtes mit dem Hange nach Abenteuern , in diesem Falle auch mit Begeisterung für das Vaterland und den Landesfürsten verbunden war, enthaltenen, in die Jahre 1741 1745 fal- lenden Kriegsthaten, in den Rahmen der allgemeinen Kriegs- geschichte einzufügen, traten mir in Beziehung auf die Kriegsführung, den Zustand der Heere und die politischen Verhältnisse eine Reihe von ungelösten Fragen entgegen, deren theilweise Beantwortung ich aul Grund von gleich- zeitigen, noch nicht oder nur wenig benützten Quellen [1878. I. Philos.-philol.-hist. Gl. 2.] 9

108 Sitzung der hisior. Classe vom 9. Februar iSVB.

versuchen wollte. Ich benützte zu diesem Zwecke besonders das im Haupt-Couservatorium der bayer. Armee befindliche ,, Journal von der kaiserlichen Campague anno 1744 vom Monat Mai an'', welches das Tagebuch des kaiserlichen Feldmarschalls Seckendorf enthält, und unter andern interessanten Detailnachrichten auch den Nach- weis liefert, dass Kaiser Carl VIT. in Dachau bei seiner Rückkehr nach Bayern das Commando der im Lande stehen- den Franzosen, Hessen, Pfälzer neben dem seiner eigenen einheimischen Truppen am 21. Oktober übernahm und das- selbe bis zum 20. November führte, sowie eine im Privat- besitze Sr. Majestät des Königs von Bayern sich befindende Sammlung von Urkundenabschriften und Auszügen, welche Schriftstücke aus den Jahren 1700 1745 umfasst, und von einem Herrn Dr. Friedrich Töpfer gefertigt wurde. In seiner Eigenschaft als gräflich törringischer Beamter erhielt Töpfer von seiner Gutsherrschaft den Auftrag mit Hilfe des reichen Familienarchives eine Geschichte der Familie und deren Besitzungen, besonders aber eine Lebensbeschrei- bung des bayer. Ministers und Feldmarschalls Graf Ignaz V. Törring zu fertigen. Die Resultate seiner Forschungen über die Besitzungen veröffentlichte Töpfer in der Form von Monographien in den Bänden 8 und 9 des oberbayerischen Archives für vaterländische Geschichte, während die weitere Aufgabe die Biographie unvollendet und ungedruckt blieb, und nur bei Gelegenheit einer Preisbewerbung bei der histori- schen Commission der Akademie der Wissenschaften von dem Verfasser zur Vorlage gebracht wurde. Die zur Verfassung letzteren Werkes benützten Urkunden, die grösstentheils aus dem törringischen, theilweise aus dem Staatsarchive in Paris zu stammen scheinen, vereinte Töpfer theils als vollständige Abschriften, theils als Auszüge in eilf Bänden, die von S. M. dem Könige Maximilian IL erworben wurden. Er fertigte aber später auch noch eine zweite Sammlung in

Würdinger : Töpfer* sehe Materialien f. d. hayr. Kriegsgeschichte etc. 109

13 Bänden, welche die erste vielfach ergänzen, so enthält diese im Band IV die Berichte des kaiserlichen Gesandten Emanuel v. Törring am Berliner Hofe 1741 ; Band VIII die Correspondenz des Kaisers mit Seckendorf 1743; IX des Kaisers mit dem Marschall Noailles 1743 ; X des Kaisers mit Seckendorf, Törriüg 1744; XI Briefe über die Kriegs- ereignisse 1744 bis zum Füsseuer Frieden; XII Memoire des Marschall Belle Isle, wie auch die übrigen Bände mit weiteren Schriftstücken bereichert sind.

Die Abschriften der Urkunden, von denen ich mehrere mit bereits durch den Druck veröffentlichten verglich, sind correct, und nur zu bedauern, dass bei keiner derselben der Aufbewahrungsort des Originals angegeben ist. Das System, nach dem Töpfer die Urkunden ordnete, nämlich nach Persönlichkeiten, nicht nach der Zeitfolge, und auch hier wieder manches einem andern Verfasser angehörende Schriftstück einfügend, ist für den Benutzer der Sammlung sehr zeitraubend. Ein sehr grosser Theil der Urkunden war bis jetzt unbekannt, oder doch noch nicht veröflPentlicht, und bietet die Sammlung für die Staats- und Kriegs- geschichte Bayerns, für die Regierungsperioden der Kurfürsten Max Emanuel und Carl Albrecht reiche Schätze dar. Aus verschiedenen Andeutungen des Sammlers lässt sich vermuthen, dass die wissenschaftliche Durchforschung des bisher dem Zutritte noch nicht geöffneten gräflich törringischen Archives eine Masse Material zu Tage fördern würde, das für die Geschiebte Bayerns, auf dessen Geschicke mehrere Mitglieder des Hauses Törring bedeutenden Einfluss übten, von hoher Bedeutung wäre, indem in ihm nicht nur die Familienpapiere, sondern auch ein grosser Theil der während der staats- männischen Thätigkeit der Betreffenden erlaufenen Staats- acten hinterlegt zu sein scheinen.

Bei einer oberflächlichen Durchsicht der Sammlung erscheinen mir als für die Bearbeitung der bayrischen

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HO Sitzung der histor. Classe vom 9. Februar 1878.

Kriegsgescliicbte im 18. Jahrhundert besonders geeignet: im 1. und 2. Band für die Zeit bis zur Schlacht von Höch- städt (12. August 1704) die Correspondenzen des bayrischen Kurfürsten Max Emanuel mit den Commandanten der fran- zösischen Hilfstruppen, den Marschällen Bouffleur, Catinat, Villars, Tallard, Marcin, 14 Briefe des Kurfürsten über seinen Zug nach Tirol 1703, die sämmtlichen Dispositionen zur üeberrumplung von Ulm. Nicht minder ergiebig ist für die Jahre 1705—1715, den Aufenthalt in den Nieder- landen, der Schriftenwechsel des aus dem Stammlande vertriebenen Fürsten mit den Marschällen Bouffleur, Vendome, Berwyk, d'Uxelles, der ebenso die Ereignisse in der Statt- halterschaft, als am Rheine, wo der Kurfürst 1710 com- mandirte, umfasst. Ein merkwürdiges Schriftstück ist die Aufzeichnung Max Emauuels über eine Unterredung, die er zu Namur am 23. Mai 1712 mit dem von Oesterreich an ihn abgeordneten Grafen Löwenstein pflog. Die Bände 3 11 enthalten die Regierungszeit Carl Alberts, die Vor- bereitungen zum österreichischen Erbfolgekrieg, wie zur Kaiserwahl, die Berichte über die Stärke der kaiserlichen wie der französischen Hilfstruppen, dann über kriegerische Begebenheiten in Bayern wie in Böhmen besonders für die Jahre 1741 1743. Von hervorragendem Interesse sind die Originalberichte über die Eroberung von Prag 1741, die Begebenheiten an der Enns, und die damit zusammen- hängende Einnahme von Linz 1742, die Kriegsereignisse um Schärding und Braunau, die Unternehmungen des kais. Feldmarschall Seckendorfs an der Isar und am Inn 1743. Die lediglich nach österreichischen Quellen gearbeitete Darstellung dieses Krieges in verschiedenen Jahrgängen der österreichischen militärischen Zeitschrift und Arneths: Maria Theresias erste Regierungsjahre, lassen sich durch Benützung der töpferischen Sammlung nach vielen Richtungen hin ergänzen und aufklären. Vom Jahre 1744 an sind es nur

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noch einzelne Berichte des kaiserlichen Generalquartiermeisters Mouleon und die Briefe des Königs von Preussen, welche erhebliches Neues bringen. Das unerquickliche Verhältniss, das zwischen dem Reichsoberhaupte, der zugleich General- lieutenant des Königs von Frankreich war, und als solcher unbedingten Gehorsam verlangen zu können glaubte, und den französischen Marschällen, deren Widerwillen gegen Unterordnung und Zusammenwirken mit den kaiserlichen Truppen durch besondere Instructionen aus Paris gestärkt wurde, und die mehrern Theils dem Kriege an der Donau abhold waren, findet in den Correspondenzen des Kaisers mit den Marschällen reiche Illustration, nicht minder ihre Wahrheitsliebe, wenn man die Berichte des Marschall Maille bois mit denen des ihm beigegebenen kaiserlichen General- adjutanten Seysel d'Aix vergleicht. Das Wenige was gut geplant war, ging an dieser Uneinigkeit zu Grunde. Zu diesen Uebelständen kam noch die Beschaffenheit des kaiser- lichen Heeres, die wir am besten aus einem Briefe kennen lernen, den König Friedrich IL von Preussen von Anspach aus am 17. September 1743 an den Kaiser richtete, und in dem er den Eindruck den eine von ihm abgehaltene Revue auf ihn machte, kund giebt: ,,Am Sollstande fehlen „bei 8000 Mann, die gemeinen Soldaten sind gut und vom „besten Willen beseelt, aber bei der Mehrzahl der Offiziere ,,sei die Erbärmlichkeit gross, und es ist nothwendig, dass alle ,, alten und unwissenden, sowie zum Dienste nicht geeigneten ,,aus dem Heere entfernt werden. Man müsse dem Marschall „Seckendorf mehr freie Hand lassen, dass er statt der un- „tauglichen, geeignete Kräfte bekäme, denn ohne die könne „er mit der Armee unmöglich etwas Tüchtiges leisten." Was der grosse Kriegsmeister mit kurzen Worten andeutet, finden wir in den Berichten Seckendorfs an den Kaiser von dem Augenblicke au, wo er von dem in militärischen Dingen völlig unwissenden Marschall Törring das Commando

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übernimmt, und es genügen schon einige Stellen aus dessen Berichten vom 28. August und 11. September 1742, um beurtheilen zu können, wie wenig mit einer solchen Armee zu erreichen war, zugleich aber auch, wie es ähnlich auf Seite der Oesterreicher ausgesehen haben muss, die es nicht wagten mit entscheidenden Schlägen ein solches Heer nieder- zuwerfen, das schon in seiner Zusammensetzung den Keim der Unfähigkeit in sich trug. Die sogenannte reguläre Armee bestand aus geworbenen Söldnern, die entstandenen Lücken wurden durch feindliche Deserteure, ja selbst durch zum diesseitigen Dienst gezwungene Gefangene, nur theilweise durch einheimische, den wenig geübten Landfahnen entnom- mene „Knechte^' ausgefüllt. Aus einem anderen Theil der Landfahnen, einer seit dem 16. Jahrhundert bestehenden Einrichtung, deren Hauptleate Beamte waren, die nicht in das Feld rückten , und die in Ernstfällen nur von Laudlieutenants , früheren Unteroffizieren , commandirt wurden, bildete man Milizregimenter, ein dritter endlich, und dieser ist der einzige, welcher sich in diesem Kriege unter selbst gewählten Führern trefflich bewährte, und im Partheigängerkriege den Feinden grossen Abbruch that, wurde zur Vertheidigung der Pässe, Furten, sowie zum Schutze gegen die Marodeurs verwendet Während die regulären Söldner sich im Kampfe gegenseitig möglichst glimpflich behandelten, war der Kampf der Landfahnen, denen meist die räuberischen Panduren und Kroaten gegen- überstanden, ein erbitterter, auf des österreichischen Heer- führers Bärenklau Befehl, wurden sie nicht als Soldaten angesehen, erhielten keinen Pardon, oder wurden, wenn sie in Gefangenschaft fielen, dem Henker mit abgeschnittenen Ohren und Nasen überliefert. Die Führer dieser Armee erwarben ihre Stellen durch Kauf und man nahm weder auf Kenntnisse und Brauchbarkeit, noch auf Nationalität Rück- sicht. Aus Italien, Frankreich, Polen scheint den Namen

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nach die Mehrzahl derselben gekommen zu sein, der bayerische Adel ist nur sehr wenig vertreten, es mag aber diess weniger im Mangel an patriotischem Sinne, als in dem Umstände gelegen sein, dass schon unter Max Emanuel die höchsten Stellen im Heere und am Hofe an Ausländer verliehen wurden, wie denn auch unter den 20 Regimentsinhabern zur Zeit Carl Albrechts vom bayerischen Adel nur die Törring, Preysing und Holnstein, dagegen 9 Ausländer vertreten waren. Ebenso schädlich wirkte die stete Bevorzung, welche unerfahrne jange Leute aus dem höheren Adel vor braven ausgedienten Offizieren genossen. Über dieses Con- tingent berichtet nun der Feldmarschall: In seiner Kriegs- kasse, in die monatlich 100,000 Gulden fliessen sollten, seien dermalen nur 2237, den Hessen und Pfälzern allein sei er bereits über 5000 Gulden schuldig, seine Soldaten hätten seit einem Monat, die Offiziere seit 2 und 3 Monaten keinen Sold erhalten. Die Hälfte des Fussvolkes sei ohne Schuhe, die Reiter, wenn sie wirklich Pferde besässen, ent- behren der Sättel und Montur, oft auch der Waffen; von dem P., dem man das Geld zum Kaufe von Pistolen und Carabinern mitgegeben, wisse er gar nicht wo er hin- gekommen ; bei dem Proviantwesen gehe es auch nicht ohne Unterschleife ab, man möge doch endlich den von ihm vorgeschlagenen in Leitung des Verpfiegswesens wohl er- fahrenen N. anstelleo. Krankheiten und Desertion, die hauptsächlich durch den Mangel an regelmässiger Verpfleg- ung hervorgerufen würden, hätten seine Armee so herunter- gebracht, dass er kaum die nöthigen Posten besetzen könne. Er habe jetzt (September 1742), nachdem er Straubing besetzt und gegen Kelheim rücken wolle, nur 1 Bataillon Infanterie und 3 Grenadier-6ompagnien bei sich, dagegen an Generälen den Feldmarschall - Lieutenant Schön, die Generale Minucci, ' Gabriely, Baron Preysing, Prinz von Hildburghausen und Baron Zievel, den General Graf Prey-

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sing habe er in die Garnisonen Donau aufwärts geschickt, er bewähre sich dort gut; den General Morawitzky, der sich dem Kaiser zu Füssen werfen wolle, bitte er beurlauben zu dürfen. Er brauche einen tüchtigen Reiter führer, deswegen habe er den Saint Germain, den man überall hin verwenden könne vorgeschlagen, auch den Gschray mit seiner Frei- compagnie angenommen, er habe ja viele Offiziere; bei der Cavallerie, die nie in dieser Waffe gedient hatten, und kaum selbst reiten können, die Offiziersstellen bei Lechansky- und Ferrari-Husaren könne man gar nicht besetzen, viele Offi- ziere verstehen gar nicht deutsch, und wenn man die Soldaten darüber beredet, dass sie sich nicht gut schlagen oder gar desertiren, so reden sie sich damit aus, dass sie ihre Offiziere gar nicht verstünden. Man möge doch den Civilbeamten befehlen, dass sie die Aushebung aus den Landfahnen besser betreiben, der Baron Löwenthal in Amberg thue gar nichts, schicke nicht einmal die Pferde für die Artillerie, so dass man die Geschütze aus Mangel an Bespannung fast stehen lassen müsse. Er wolle Sr. Majestät auch nicht verhehlen, dass wegen Allem dem die Subordination in manchen Regi- mentern schlecht sei, und ganze Haufen des Landvolkes, da sie weder Geld noch Kost, weder Kleider noch Waffen hätten, nach Hause liefen. Ausserdem entschuldigt sich der Feldmarschall bei Sr. Majestät, dass er diessmal deutsch berichte, er habe keinen Secretär bei sich, der das Schreiben in das Französische übersetzen könne, und für seine Person wichtigeres zu thun. So sah es im Reichsheere zu der Zeit aus, in der der jugendliche König von Preussen mit seinen wohlgeordneten Truppen die Siege bei Mollwitz und Cotusitz errang, und für sich Schlesien gewann.

Um einen Einblick in das reiche in der Topf er'schen Sammlung gebotene Material zu bieten, erlaube ich mir den Inhalt der Bände nach ihrer Reihenfolge mit den jetzi- gen Ueberschriften folgen zu lassen.

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1. und 2. Band.

Gorrespondenz von und an Kurfürst Max Emanuel 1700-1714.

Einem Berichte des bayerischen Gesandten am spanischen Hofe d. d. Madrid 8. Dezember 1700 folgen pag. 7—25 die detaillirten Instructionen zur Ueberrumplung von Ulm (9. September 1702), pag. 27 35 die Correspondenzen des Marschall duc de Bouffleurs mit Kurfürst Max Emanuel vom 27. Januar 1701 bis 29. Mai 1702; p. 37 48 Briefe des Marquis Puissegur an den Kurfürsten d. d. Brüssel 17. März bis 13. April 1702; p. 49 54 Berichte des Marschall Catinat an den Kurfürsten Max Emanuel vom 28. August bis Oktober 1702, sowie die darauf erfolgenden Briefe dieses Kurfürsten an den Marschall; p. 54 59 Correspondenz zvrischen dem churfürstlich geheimen Secretär V. Reichard mit dem französischen Gesandten am bayerischen Hofe de Ricous im September 1702 ; Briefe eines Hrn. v. Puy- zieulx an den Kfst. September und Oktober 1702; p. 60 67. General Weiquel (Vequel) an den Kfst. d. d Ulm, Januar 1703; p. 67—79 Correspondenz des Marschall Tallard mit dem Kfst. M. Em. , beginnend im Lager zu Sontheim 7. April 1703— Augsburg 24. Juli 1704; p. 81—93 Corresp. des Marschall Villars mit dem Kfst. M. Em. 27. Sept. bis 19. Nov. 1702; p. 93 135 die Briefe Max Emanuels au Villars beginnend mit 6. Januar 1703. Sie behandeln ein- gehend die am 10. Mai vollzogene Vereinigung der französi- schen und bayrischen Armee bei Riedlingen, den Krieg in Tirol (Juni und Juli), den Rückzug der Bayern aus diesem Lande, den Aufenthalt des Kfst. M. Em. in Mittenv^ald (13. Juli— 21. August), dessen Rückkehr nach München (29. August); p. 137. Berichte des Commandanten von Ulm General du Bourg 30./31. August 1703; p. 139 Max Ema- nuel an Monasterol. 20. Oktober 1703; p. 143 Marschall

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Bouffleur an den König von Frankreich d. d. du Quesnoy 11. September 1709; p. 147 271 Fortsetzung der Corre- spondenz des Marschall Yillars in ununterbrochener Reihe vom 28. September 1702—19. September 1703; p. 273 bis 305 Kfst. Max Emanuel an den Marschall Graf Marcin 19. Dezember 1703 27. April 1704; p. 309-— 314 Berichte des Genera] lientenant Comte de Gace vom 1. September 1702—22. April 1705, sowie 3 Schreiben des Kfst. M. Em. an diesen General; p. 314—336. Correspondenzen des Mar- schall Villeroy mit M. Em. 12. Mai 1705—6. Juli 1706; p. 337 349 Correspondenz des Kurfürsten mit Marschall Vendome vom 20. April 1706 11. Juli 1708, an sie schliesst sich ein nicht datirter Brief des Königs von Frankreich an, in dem sich dieser bei Vendome über die üebergriffe des Kurfürsten in den Niederlanden beklagt, worauf ergänzende Briefe Vendomes für 1706—1708 folgen; p. 349—371, eine ununterbrochene Reihe von Berichten des Marschalls Berwick über die Kriegsbegebenheiten in den Niederlaudeu vom 1. Mai 1708— Juli 1712, p. 371—385 Briefe des Kfst. M. Em. an diesen Marschall (24. Juli 1. September 1708 v^on Langenkandel aus datirt) bis zum 10. September 1710 reichend; p. 385-391 Berichte des Marschall Duc de Har- court vom Juli bis 13. September 1711; p. 391 395 Ant- worten des Kurfürsten ; p. 395 403 Correspondenz des Marschall d'Uxelles vom 15. März— 14. Juni 1712; 403 bis 418 Berichte des Glt. comte de Bourg d. d. Lauterburg 5.-20. Juli 1708, d. d. Weissenburg 16.— 28. September mit Entgegnungen des Kfst. M. Em.; p. 419—425 Auf- schreibungen des Kfst. M. Emanuel über eine Unterredung, die er mit dem Grafen von Löwenstein am 23. Mai 1712 zu Namur hatte. ^) p. 425 zwei Briefe des Königs von Spanien aus dem Jahre 1707; p. 427—483 Schreiben des

1) Anmkg. 1. Im Anhange veröffentlicht.

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Kurfürsten an den König von Spanien vom 8. Januar 1707 bis 27. Oktober 1709; p. 485 --496 Correspondenz des Kur- fürsten mit dem König von Spanien vom Januar 1710 bis 25. Januar 1714; p. 497—503 enthalten endlich Schrift- stücke verschiedener Verfasser für die Jahre 1714 und 1715, besonders Correspondenzen des General du Bonrg mit Mal- knecht, dem bayr. Marschall Arco, dem Kanzler Voisin; 2 Briefe des Prinzen Eugen ; einen des Kaisers an den Kur- fürsten von der Pfalz vregen verzögerter Räumung der Oberpfalz.

3. Band.

Eigenhändige Briefe des Kurfürsten Carl Albrecht von Bayern an den Grafen Ignatz von Toerring 1737—1741.

Sie enthalten in 143 Stücken ausser den offiziellen Berichten des Grafen, der vom Jahre 1737 —1739 bayerischer Gesandter am französischen Hofe war, und den Antworten des Kanzlers ünertl, die Privatcorrespondenz des Kurfürsten mit dem Grafen, in der ausser den wichtigsten selbst vor dem Kanzler geheim gehaltenen Unterhandlungen, wie denn aus einem Briefe Carl Albrechts d. d. 13. Juli 1737 her- vorgeht, dass ünertl den vollen Umfang der mit Frankreich geschlossenen Verträge von 1726 und 1733 nicht kannte, auch Ereignisse aus dem Privatleben des Fürsten behandelt sind. Die Briefe Törrings beginnen Seite 99 mit der ihm beim Abgange nach Paris 1737 ertheilten geheimen Instruction, die im Bande TV durch zwei an den Cardinal Fleury gerichtete Beglaubigungsschreiben vom 22. Mai und 8. Juli 1737 ergänzt wird. Den Schluss des Bandes bildet ein Schreiben des Kurfürsten an den Grafen Seinsheim d. d. München, 18. Januar 1738.

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4. und 5. Band.

Gorrespondenz des Kurfürsten Carl Älhrecht von Bayern

{Kaiser Carl VII.) mit 1) dem König Ludwig XV. von

Frankreich, 2) dem Cardinal Fleury 1726— 1742.

Nach fünf conventionellen Briefen des Königs von Frankreich 1726 1729, folgen von Seite 3 51 nach Jahr- gängen geordnet, mit dem 17. Jänner 1741 beginnend theils in voller Abschrift, theils im Auszuge die zwischen Lud- wig XV. und Carl Albrecht gewechselten Schriftstücke, denen sich nach dem Tode des Kaisers, bis zum Frieden von Füssen auch noch einige des Kurfürsten Max III. an- schliessen. Auf Seite 53 beginnt der umfangreiche Schriften- wechsel zwischen Carl Albrecht und dem Cardinal Fleury mit einem Briefe des letzteren d. d. Marly 17. Jänner 1727, und endet p. 462 mit einem Briefe des Genannten an Kaiser Carl VII. d. d. Issy 25. Dezember 1742, also kurz vor dem Tode Fleurys. Von p. 35 77 Briefe des Cardinais an den Kurf. von Bayern vom 17. Jänner 1727—10. Jänner 1740; p. 77 bis 105 die des Kurfürsten an den Cardinal vom 2. Sep- tember 1726—8. Juli 1737, welche sich dann von p. 105 bis 279 vom 29. Oktober 1740—16. Dezember 1742 fort- setzen. P. 283 303 die Vorschläge Fleurys an den Kur- fürsten d. d. Versailles 9. Juni 1737. Von p. 337—463 die Correspondenz Fleurys vom 17. Dezember 1740 25. De- zember 1742. Den Schluss des Bandes bilden 3 Briefe des bayrischen Gesandten in Paris Baron Spon aus dem Jahre 1742, 1743 an den Grafen Törring (Siehe Band XI). Die geheimen diplomatischen Verhandlungen und Verträge zwischen Frankreich und Bayern werden durch diese Akten- stücke vielfach bereichert.

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5a. Band. Briefe des Marschall Belleisle an den Kurfürsten Carl Albrecht von Bayern und den Marschall Graf Ignaz von Törring vom Jahre 1741. Er enthält auf 126 Seiten die vom Marschall Belleisle, der die doppelte Eigenschaft eines französischen Gesandten zur Kaiser wähl mit der eines designirten Commandanten der französischen Hilfstruppen in Bayern zu verfolgen hatte, von Prankfurt aus in dem Zeiträume vom 1. August bis 18. November 1741 an den Kurfürsten von Bayern und dessen Marschall Törring gerichteten Briefe, Berichte über die Unterhandlungen v^egen der Kaiserwahl, die Allianzen mit Preussen, Sachsen und Pfalz, über die beabsichtigte Vertheilung der österreichischen Erblande, wie nicht minder den Feldzugsplan, der nach einem Schreiben vom 1. August bereits in Nymphenburg festgesetzt worden war, im Allge- meinen, sowie nach Beginn des Krieges über die Details desselben, und verschiedene Rathschläge über die Kriegs- operationen in Oberösterreich und Böhmen. Mit Seite 127 beginnen die Schreiben des Kurfürsten Carl Albrecht, und des Grafen Törring an Marschall Belleisle, die den Zeitraum vom 2. April 17. November 1741 umfassen. Für die Ge- schichte des Feldzuges bieten viel Material die Schreiben des Kurfürsten vom 10. September an, wo derselbe bereits das Obercommando in Schärding übernommen hat, bis zu dem im Lager bei Müncheck am 17. November abgesendeten. Ihnen folgen von Seite 201 211 die CojTespondenzen Tör- rings, sowie drei Briefe des Kaisers an den an der Donau im Jahre 1742 commandirenden Herzog von Harcourt, und zum Schlüsse ein Schreiben des Grafen von Sachsen an Törring d. d. Nieder- Altaich 18. August 1742 mit einem Vorschlag für die Dislocation der kaiserlichen Truppen, und die Art, wie man sich der Stadt München und der Positionen an der Isar wieder bemächtigen könne.

120 Sitzung der histor, Ctasse vom 9, Februar 187 S.

6. Band. Correspondenz des Marschall Duc de Broglie, Armeebefehls- haber der französischen Hilfsarmee mit dem Kaiser Carl VII. und den kaiserlichen Feldmarschällen Törriny und Sechendorf

1742-1743, Die Berichte Broglies siud vom 7. Januar 15. Oktober 1742 aus Böhmen, vom 17 November an, zu welcher Zeit der Marschall in eine Stellung an der Isar vorrückte, aus Bayern datirt, und enden mit dem Schreiben d. d. Donau- wörth 24. Juni 1743, in dem er dem in Augsburg sich aufhaltenden Kaiser bekannt giebt, er wei de, ohne auf dessen Einspruch Rücksicht zu nehmen Bayern mit den französi- schen Hilfsvölkern verlassen. Die übrigen Schriftstücke des 1. Abschnittes (p. 1 143) enthalten lediglich Correspondenzen mit dem Kaiser, den Marschällen Törring und Seckendorf, besonders Bitten letzterer um Unterstützung bei Operationen, Verabredungen zu gemeinschaftlichen Unternehmungen, die aber ßroglie fast immer zu verzögern und zu vereiteln sucht. P. 143 151 folgen verschiedene Beilagen zu diesen Schrift- stücken. Mit Seite 151, beginnen die Briefe des Kaisers und seiner beiden Marschälle an Broglie, sie umfassen den Zeit- raum vom 3. Jänner 1742 25. Juni 1743. Besonders, kennzeichnend für das zwischen dem Kaiser und dem fran- zösischen Marschall bestehende Verhältniss sind die Schreiben des ersteren vom 30. Mai 24. Juni (p 204-217) und die Instruction für den General Piosasque, den der Kaiser zu Broglie sandte (p. 206). Den Schluss des Bandes (p. 222 bis 233) bilden Briefe eines französischen höheren Offiziers, die dieser vom 2. Mai 1. Juni von Straubing, von da bis 25. Juni von Ingolstadt aus an verschiedene Persönlichkeiten richtete. Auser vielen Ausweisen über die Stärke der kaiserlichen und französischen Truppen, Dislocationen der- selben liegen dem Bande auch zwei Pläne über die Aufstel- lung der Batterien bei der Belagerung von Eger bei.

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7. Band. Varia über die Feldzüge 1741 1742. Seite 1 10 Schreiben des Marschall Belleisle an den Kurfürsten Carl Albrecht d. d. Versailles 25. Juli 1741, in welchem die näheren Abmachungen über die Stärke, Verpflegung und die Zeit des Eintreffens der französischen Hilfstruppen in Bayern, die von den übrigen AUiirten zu stel- lenden Truppen, sowie über einen allgemeinen Kriegsplan getroffen werden. Diesen folgt p. 11 25 die briefliche Darstellung eines höheren bayerischen Offiziers der Kriegs- ereignisse des Herbstes 1741 in Oberösterreich und Böhmen einschliesslich der Eroberung von Prag, p. 25 35 Memoire der an der Enns commandirenden Generale Segur und Minucci an den König von Böhmen d. d. Linz 19. Dezem- ber, wie sie sich beim Eintreten eines Angriffes zu verhalten hätten, mit den darauf erfolgten Resolutionen; eine Instruc- tion Carl Albrechts vom Januar 1742 für die nunmehr in Linz befindlichen beiden genannten Generale; ein eingehen- der Bericht eines bayrischen Offiziers über die Vorfälle au der Enns vom 30. Dezember 1741 bis zur Capitulatiou von Linz; p. 37 und 38 deutsche Auszüge aus den im XI. Band enthaltenen Briefen des General Grafen Piosasque aus Böh- men (3.— 17. Dezember 1741); 39—43 Berichte des fran- zösischen General-Quatiermeisters von Mortaigne an den Kurfürsten von Bayern vom 2. November 1741 I.Januar 1742, sie sind bezeichnend für die zwischen den Marschällen Belleisle und Broglie herrschende Gereiztheit; 43 47 das Tagebuch des Führer der bayerischen Avantgarde, Oberst Girard des kurf. Garderegiments vom 28. Oktober— 22. No- vember 1741. An die nun, p. 57, folgenden Standesaus- weise über die Stärke der 3 bayrischen Corps bei Schärding, Rosenheim und in der Oberpfalz (1. September 1741), der französischen Hilfstruppen, über Geschütze und Munition, schliessen sich Meldungen Törrings an den Kurfürsten vom

122 Sitzung der histor. Classe vom 9. Februar 1878.

Oktober Dezember 1741, (^. 68) ein Gutachten des P. Elegius aus Tabor über das Testament Ferdinand I., mehrere Memoires, Operationspläne, worunter ein Entwurf des General Mortaigne vom 14. April 1741 an: Seite 93—95 enthalten einen Bericht über eine mit dem König von Preussen am 19. und 20. Januar 1742 zu Dresden abgehaltene Conferenz.

8. und 9. Band.

Correspondenz die Kriegshegehenheiten 1742 1745.

Auf die Kunde von den Unterhandlungen, welche des Friedens wegen zwischen Preussen und Oesterreich im Juni 1742 statt hatten, sendete der Kaiser den Feldmar- schall Heinrieh von Seckendorf zuerst nach Dresden, um sich den ferneren Beistand der Sachsen zu sichern, dann später nach Berlin. Die Berichte des Marschalls über die Unterhandlungen mit Sachsen, die zu Meuselwitz und Dres- den vom 11. 30. Juni geführt wurden, sowie die darauf bezüglichen Erlasse des Kaisers bilden von Seite 5 15 den Eingang des Bandes. Ihnen folgen (p. 21 28) die Instruc- tion des Marschalls für sein Verhalten am Berliner Hofe (10. Juli) ergänzt durch weitere Weisungen bis zum 4. August und (p. 28—35) der Bericht des Marschalls über den Ver- lauf seiner Sendung vom 31. Juli. Mit Seite 37 beginnen die Berichte des Feldmarschalls aus dem Lager von Platt- ling (24. August), und erstrecken sich auf den Rückzug nach Regensburg, die Trennung von der französischen Armee, die im September nach Böhmen zog, dann die selbstständigen Operationen Seckendorfs an der Isar und am Inn, die Ein- nahme von Landshut (p. 104), Burghausen (p. 127), Braunau (p 130) bis zu dem im Dezember vollzogenen Einrücken in die Winterquartiere. Sie sind sämmtlich an den Kaiser gerichtet. Ihnen folgen von Seite 155 202 Seckendorfs Correspondenzen mit dem Grafen Törring und Anderen,

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beginnend mit einem Standesausweis, aus dem zu entnehmen, dass im August 1742 die kaiserliche Armee statt der Soll- stärke von 40,550, nur eine solche von 13,830 Mann besass, zu denen noch 7250 pfälzische und hessische Mannschaften kamen, (197 202) Befehle des Kaisers und Törrings für Seckendorf. Beilagen zu obiger Correspondeuz , und der Schriftwechsel zwischen Seckendorf und Broglie vom 23. No- vember— 16. Dezember finden sich von p. 202 230. Die Correspondenzen des französischen General es Maillebois mit dem Kaiser, Feldmarschall Seckendorf, Blondel, dem Grafen von Sachsen und Anderen umfassen (p. 233—287) die Zeit vom 4. August 1742 März 1743. Sie sind meist nur in Auszügen gegeben, und stimmen nicht immer mit denen des kaiserlichen Generaladjutauten Seyssel d'Aix, welcher dem französischen Marschall beigegeben war überein. P. 314 beginnt ein Tagebuch des Commandanten von Braunau General Minucci über die Kriegsereignisse, Befreiung und den Entsatz der ihm untergebenen Festung vom 27. November bis 16. Dezember 1742. Den Schluss des Bandes Seite 321 bis 352 bilden die Berichte des kaiserlichen Generalquartier- meisters Mouleon an den Kaiser und den Grafen Törring mit dem 17. September 1742 beginnend und April 1745 endend, mit Skizzen über die Befestigungen von Ingolstadt und Straubing.

10. Band.

Correspondenz des Kurfürsten Carl Älhrecht von ayern

{Kaiser Carl VII.) mit dem König Friedrich IL t i

Preussen 1741-1745,

107 Briefe Friedrich des Grossen aus dem Zeiträume

vom 24. Januar 1741 14. März 1745. An Carl Albrecht

als Kurfürst sind 17, als König von Böhmen 5, als Kaiser

72 gerichtet; als weitere Adressaten erscheiuen die Feld-

[1878 I. Phüos.-philol.-hist. Cl. 2.] 10

124 Sitzung der histor. Classe vom 9. Februar 1878.

marschälle Graf Törring und Seckendorf, Marschall Belleisle, Marschall Schmettau, der französische Gesandte am preus- sischen Hofe Marquis Vallori, Cardinal Fleury, Comte de Baviere, der Markgraf von Anspach, Lord Hyndfort, Baron Wetzel, Plotho, dann zweimal der Kurfürst Maximilian HL von Bayern. Seite 11 13 Brief der verwittweten Kaiserin Elisabeth an den Prinzen Ferdinand von Preussen und dessen Antwort vom 11. resp. 14. September 1741 ; p. 31 Friedrichs Feldzugsplan vom 20. Februar 1742, p. 74 Beurtheilung des kaiserlichen Heeres unter Feldmarschall Seckendorf. Im directen Zusammenhange mit den vorhergehenden stehen die nun (p. 97—193) folgenden 82 Briefe an den König von Preussen mit dem 29. Januar 1741 beginnend, im April 1745 schliessend. 72 Stücke sind von Carl Albrecht, 4 vom Kurfürst Maximilian IIL, die übrigen von Belleisle, dem englischen Unterhändler Hyndfort, dem Marschall Seckendorf, Comte de Baviere, Cardinal Fleury. Die Correspondenz behandelt hauptsächlich die Allianz zwischen Bayern und Preussen , die gemeinschaftlichen Kriegsoperationen und diplomatischen Verhandlungen. Wichtig sind mehrere Nach- richten über den ersten schlesischen Krieg, die mit den in Friedrichs histoire de mon temps enthaltenen Angaben in Widerspruch stehen.

11. Band.

Correspondenz der bayrischen Gesandten Graf von la Rosee

und Baron Spon in Berlin an Feldmarschall Törring et

vice versa 1742—1744.

Der Band beginnt (p. 1 5) mit einem Schreiben des Gouverneurs von Strassburg Marechal de Broglio d. d. 26. August 1740 an den französischen Gesandten v. Blondel iu Frankfurt, und berichtet über einen Besuch, den König Friedrich von Preussen im strengsten Incognito m Strassburg

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gemacht hatte. Ihm folgen (5 18) die Correspoudenz des Ministers Graf Törring mit dem kaiserlichen Gesandten am preussischen Hofe Chevalier de la Rosee vom 30. Okto- ber 1742 13. Juli 1743, au welchem Tage dem la Rosee die Ernennung seines Nachfolgers Baron de Spon bekannt gegeben wird. Seite 19—39, die Gesandtschaftsberichte La Rosees an Törring. Seite 41—53 Correspoudenz Törrings mit dem neuernannteu Gesandten Freiherrn von Spon vom 9. September 1743 -17. Februar 1745, Seite 55 102 Ge- saudtschaftsberichte Spons, und zwar zuerst von seinem Aufenthalte in Paris d. d. 9., 11. März, 8. April, dann vom 2. September 1743 16. März 1745 aus Berlin. Ausser zuverlässigen Aufschlüssen über die politische Lage enthalten die Berichte manche Einzelnheiten über die Person Fried- rich IL, seine Minister, seinen Hof, und unter andern auch, über Voltaires Aufenthalt in Potsdam. Den weitern Inhalt bilden die Briefe des Grafen Carl Piosasque (p. 103 bis 111), der am 17. September 1738 den Vertrag wegen eines bayrischen Hilfscorps zum Türkenkriege mit dem Wienerhofe abschloss, und während des Feldzuges als Ma- rechal de Camp die bayrische Cavallerie commandirte. Sie beginnen in Wien mit 22. September 1738, bringen d. d. Semlin 30. Juli 1739 einen sehr interessanten Bericht über das unglückliche Gefecht bei Krotzka (22. Juli) und enden mit seiner Rückkehr nach Bayern 25. Juli 1740. Ueber seine weitere kriegerische Thätigkeit geben seine aus Böhmen 3. bis Ende Dezember 1741 an Törring erstatteten Berichte Aufschluss. Er starb im Jänner 1742 im Lager bei Pisek. Aufschlüsse über die militärischen Verhältnisse zur Zeit des unglücklichen Treffens bei Braunau bieten die Berichte des Commandanten von Braunau, des Capitain der Leibgarde Graf Joseph Piosasque de Non vom 8. 15. Januar 1742 (p. 121 127). Den Schluss (p. 127 135) bilden zwei ausführliche Relationen, eine officielle und die eines fran-

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126 Sitzung der histor. Classe vom 9. Februar 187 S,

zösischen Offiziers über die Erstürmung der Stadt Prag (26. November 1741).

Beilage aus Band I.

Idee^) sur le discours que m'a tenu le Comte de Leuenstein ä Namur le 23. de May 1712^

qui etoit en substance: que la cour de Vienne etoit fort portee pour le mariage entre mon fils le P*''' Electoral et TArchiducbesse, fille ainee de l'Empereur Joseph; que c'etoit en cette vue, qu'on avoit tant de soins de son education, et qu'on le faisoit servir sur le meme pied, que Tetoient les Archiducs d' Antriebe et les fils des Empereurs; que pour- tant l'intention de la cour de Vienne etoit, que je ne rentre Jamals en Baviere et que mes dits etats soient restitues au P''^ Electoral, c'est ä dire la Haute et la Basse Baviere, sans le Haut-Palatinat, qui resteroit avec l'Arcbidapiferat et ses prerogatives et rangs ä l'Electeur Palatin. Sur cette Idee le C. de Leuenstein a propose, comme une pensee ä lui- meme, pour expedient de me donner a la paix les Pais-bas ä vie, sur le pied, que Varchiduc s'accorderoit la dessus avec les Etats Generaux de Hollande, si je cedois la Baviere au P°^ Electoral, comme il est dit plus baut, m'assurant, que la succession de Tarchiduc, s'il n'a pas d'enfants, venoit aux deux arcbiduchesses, fiUes de l'Empereur Josepb, et que les Facta Familiae de la maison d'Autricbe portoient, que le dernier arcbiduc, se trouvant sans succession, pouvoit dis- poser en faveur des fiUes de sa maison, selon qu'il le trouve convenir.

En cette supposition ma pensee est, que : L'archiduc declare la fille ainee de l'Empereur Josepb son heritiere universelle de tous ses royaumes et etats. 2^ Qu'elle soit mariee ä mon fils aine, le Prince Electoral,

') Eigenhändiger Aufsatz des Kurfürsten Max Emanuel.

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par consequent lui et ses desceudants appeles ä cette succession de la maison d'Autriche.

3^ Poiir mieux consolider et etablir cette succession, la seconde fille de TEnipereur Joseph, epouse mon second fils le Duc Philippe, lequel avec sa succession succe- deroit au P*"^ Electoral en cas, que celui-ci n'eut pas d'enfants.

4^ En faveur de ces mariages je nie contente de renoncer la Baviere au P''^ Royal, qui en sera mis en possession avec la dignite d'Electeur et la restitution de tout ce, que j'ai possede avant la guerre, hormis le Haut-Pala- tinat et l'Archidapiferat avec son rang et prerogatives, qui